Anfang vom Aufstand
Noch gehöre ich nicht zur Kern-Zielgruppe von Fernsehgottesdiensten. Aber am Pfingstmontag 2016 schaue ich mir im Ersten die Übertragung des Pontifikalamtes aus dem Mainzer Dom an. Verabschiedet wird Kardinal Karl Lehmann. 33 Jahre lang war er Bischof von Mainz. Ich habe ihn wenige Tage zuvor für den Deutschlandfunk interviewt. Fast eineinhalb Stunden haben wir miteinander gesprochen, teils mit Mikrofon, teils ohne: über die Päpste von JohannesXXIII. bis Franziskus, über seine Widersacher in der Bischofskonferenz und über die Schwangerenkonfliktberatung.
Ein Thema habe ich für den Schluss des Interviews aufgespart: Wann wird es die erste Bischöfin von Mainz geben? Das frage ich – mit wechselnden Ortsnamen – jeden katholischen Bischof, der mir begegnet.
Wobei: »Fragen« ist das falsche Verb. Quälen kommt der Sache meist näher. Die Interviewpartner rollen beim Wort »Bischöfin« die Augen, jedenfalls schauen sie mich nie direkt an. Kardinal Karl Lehmann schon. Wir kennen uns eine Weile, die Frage dürfte ihn nicht überrascht haben. Er lacht. Er sei schon froh, wenn es irgendwann Diakoninnen gebe, antwortet er. Ist das überhaupt eine Antwort? Eine Jahreszahl nennt er nicht. Stattdessen führt er Frauenquoten für kirchliche Führungspositionen an und die gestiegene Zahl an Theologieprofessorinnen.
Ich versuche es noch einmal: Und die Weihe? Diese Fixierung auf das Amt sei falsch, sagt er. Ich nehme einen letzten Anlauf: »Es wäre gut, wenn Frauen genauso amtsfixiert sein dürften wie Männer. Und wenn sie dieselben Fehler machen dürften wie Männer.« Wir hatten kurz zuvor über seinen einstigen Nachbarn Franz-Peter Tebartz-van Elst gesprochen. Lehmann lacht wieder. Nachhaken zwecklos. Das Interview ist zu Ende. Ein paar Tage später wird Papst Franziskus ankündigen, dass er eine Kommission plant. Diese soll die Rolle von Diakoninnen in der Kirchengeschichte untersuchen und prüfen, ob es diese dienstbaren Geister wieder geben könnte. Kleine Kommission, großer Konjunktiv.
Froh über Diakoninnen – solche Worte, öffentlich ausgesprochen, reichen, um in der katholischen Kirche Kardinal auf liberal zu reimen.
Beim Pontifikalamt im Mainzer Dom ziehen Messdiener ein, Domsingknaben, Priester, Bischöfe, Kardinäle. Wenn die Kamera in die Altar-Totale geht, sind Männer unter sich. Schwenk ins Publikum: singende Frauen in Großaufnahme. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, kommt ins Bild. Schwenk zurück auf den Bischof, der in der Mitte Platz genommen hat. »Altar, der, männlich«, sagt der Duden. »Heiliger Geist, der«, auch männlich. Das grammatisch, sozial, klerikal dominante Geschlecht ist an diesem Pfingstmorgen nicht zu übersehen.
Meine Tochter betritt das Wohnzimmer. Die Pubertistin wirft einen Blick auf den Bildschirm und will sofort gehen. »Fällt dir etwas auf?«, frage ich sie. Die 13-Jährige zuckt mit den Schultern. »Findest du es nicht komisch, dass lauter Männer am Altar sind, dass weder Messdienerinnen noch Chorsängerinnen zu sehen sind?« – »Nö, das ist doch in der Kirche immer so«, sagt sie.
Mit 13 hat man noch Träume. Manche davon haben sich in diesem Alter schon erledigt. Meine Tochter achtet darauf, dass Sonnenmilch keine Mikropartikel enthält, die in den Wasserkreislauf gelangen und von Meerestieren geschluckt werden könnten. Sie verzichtet auf Fleisch und Fisch wegen des Weltklimas. Sie werkelt nächtelang an einem Businessplan, um sich als Unternehmerin für Design-Taschen aus alten Milchtüten selbstständig zu machen. TetraBag soll die Firma heißen. Aber Frauen an den Altar? Das ist für sie der Jute-Sack unter den politischen Kampfthemen, keinen Businessplan und kein Recycling wert.
Sie wirft noch einen klimabesorgten Blick auf die Weihrauchentwicklung im Mainzer Dom, dann schaut sie mich skeptisch an und geht hinaus. Mutmaßlich nimmt sie gleich das Smartphone in die Hand und ruft ein Beauty-Video auf. Das ist ihr Pontifikalamt.
Und ich sitze wieder allein vor dem Bildschirm. Allein unter Männern.
Nach elf Minuten steigt die erste Frau die Stufen zum Altar hinauf. Sie trägt die Lesung vor. Das nächste feminine Einsatzgebiet sind die Fürbitten. Bitten ist weiblich. Ich poste meine Beobachtungen auf Facebook. Es gibt viele Likes. »Worauf Sie so alles achten«, schreibt ein Kommen