Kapitel 1
Den Himmel im Herzen
Die Fabrikmauern glühten in der Sommerhitze. Die hohe Luftfeuchtigkeit hatte die Lagerhalle unserer Firma Otis Elevator, die Aufzüge und Fahrtreppen herstellt, in ein Dampfbad verwandelt. Und die Arbeiter bewegten sich darin fort wie Ameisen in einer Siruppfütze.
Mit Ausnahme von mir.
Ich war neunzehn Jahre alt und selbst acht Stunden harte körperliche Arbeit konnten mich einfach nicht bremsen. Ich powerte unvermindert weiter, bis Punkt 16 Uhr die Pfeife in der Lagerhalle ertönte. Und dann düste ich auch schon ab.
Als ich an diesem Feierabend gerade den Zündschlüssel in meinem ’63er-Ford herumdrehte, hörte ich von draußen eine Stimme hinter mir herrufen:
„Hey, Mickey, kommst du noch mit auf ein Bier?“
„Nein. Ich muss zum Flugplatz“, antwortete ich. „Ein anderes Mal vielleicht.“
Ich sah nicht einmal nach, wer das hinter mir war, stellte das Radio an und griff nach einer Zigarette. Während das schrille Aufjaulen einer elektrischen Gitarre die Luft zerriss, düste ich vom Parkplatz und dann schnell über alle möglichen Abkürzungen nach Hause.
SteppenwolfsBorn to Be Wild dröhnte mir in den Ohren und bei Tempo 140 nahm ich die Landschaft nur noch als verschwommenes Grün wahr. Die Straße vor mir lag da wie ein magischer Teppich. Ich warf mir selbst einen kurzen Blick im Rückspiegel zu. Es war Sommer und ich war braun gebrannt, durchtrainiert, hoch konzentriert und von einem Gedanken beseelt: Eine meiner Lehrerinnen hatte mir eine Karriere als Schauspieler nahegelegt und behauptet, die Welt würde auf jemanden wie mich nur warten. Doch damals war mir die Welt relativ egal.
Mein Herz gehörte dem Himmel.
Vor fünf Monaten war ich das erste Mal aus einem Flugzeug gesprungen und unter einem alten dunkelgrünen Militärfallschirm zur Erde zurückgeschwebt. Der Sprung war alles andere als spektakulär gewesen, dennoch passierte an diesem Tag etwas Überwältigendes. Es war, als hätte eine unsichtbare Hand einen Knopf in meiner Seele gedrückt, der alles andere auslöschte. Von diesem Augenblick an existierte nur noch der Wunsch, wieder zu springen. Noch einmal in den Himmel hinaufzufliegen, noch einmal dieses intensive Gefühl zu erleben und noch einmal und noch mehr von dieser Geschwindigkeit zu spüren.
Der freie Fall, wenn ich mit 225 Stundenkilometern durch die Atmosphäre raste, verschaffte mir ein Lebens- und Freiheitsgefühl, das ich bislang nicht gekannt hatte. Frei aus dem Himmel zu fallen, war meine neue Sehnsucht und ich stürzte mich jedes Mal mit ganzer Leidenschaft in diesen Freiheitsrausch. In den wenigen Sekunden, ehe mein Fallschirm sich öffnete, verlor ich jegliches Zeitgefühl. Es gab dann nichts anderes mehr. Keinen Einberufungsbescheid zur Armee. Keinen Vietnamkrieg. Keine Uhrzeit. Keine Langeweile. Keine Grenzen. Hätte es die Möglichkeit gegeben, das Gefühl des freien Falls direkt in die Venen zu injizieren, ich hätte keinen Moment gezögert.
Als ich in die Einfahrt unseres Hauses einbog, war ich noch ganz in Gedanken. Ich zog ein letztes Mal an meiner Zigarette, ehe