Prolog
Alexander Democedes Amandinus stand an der Tür des Todes und wartete auf seine Chance, das Leben zu studieren. Er mochte die Spiele nicht und war nur widerwillig gekommen. Doch was er jetzt sah, faszinierte ihn bis ins Mark. Er starrte auf das still daliegende Mädchen und verspürte einen unerklärlichen Triumph.
Er war immer zurückgeschreckt vor der wilden Gier des Mobs. Sein Vater hatte ihm das damit erklärt, dass es manchen Menschen innere Erleichterung brachte, bei Gewaltszenen zuzuschauen, und manchmal hatte Alexander diese Erleichterung, schon fast krankhaft und pervers, tatsächlich in den Gesichtern lesen können, in Rom, in Korinth und hier in Ephesus. Vielleicht waren die Zuschauer den Göttern dankbar, dass nicht sie es waren, die da den Löwen oder einem geschulten Gladiator oder einem noch schlimmeren Todbringer gegenüberstanden. Vielleicht brauchten sie dieses geplante Abschlachten, um die Sinnlosigkeit ihrer vor sich hin faulenden Welt vergessen zu können.
Alexander packte das Eisengitter fester und spähte in die Arena hinaus, wo die junge Frau in ihrem Blut lag. Merkwürdig ruhig, fast freudig war sie in die Arena geschritten. Sie hatte eine besondere Ausstrahlung, etwas Unerklärliches an sich gehabt, das ihn gefesselt hatte. Gesungen hatte sie; einen Augenblick lang hatte ihre Stimme sich wie eine Lerche in die Luft erhoben, dann hatte das Gebrüll des Mobs sie verschluckt. Sie war weiter über den Sand geschritten, auf Alexander zu, und mit jedem ihrer Schritte hatte sein Herz stärker gepocht. Schlicht hatte sie ausgesehen, aber irgendetwas war von ihr ausgegangen – eine Art Leuchten; oder hatte er sich das nur eingebildet? Dann hatte die Löwin sie gepackt, und Alexander hatte den Schmerz fast selbst gespürt.
Jetzt kämpften zwei der Tiere um ihren Körper. Alexander kniff die Augen zusammen, als die eine Löwin ihre Zähne tief in den Schenkel der jungen Frau schlug und sie wegzuschleifen begann. Die andere Löwin wollte ihr die Beute streitig machen und schon rollten sie beide fauchend und kratzend im Sand.
Ein kleines Mädchen in einer verschmutzten und zerlumpten Tunika rannte schreiend an dem vergitterten Tor vorbei, hinter dem Alexander stand. Er biss die Zähne zusammen, versuchte nicht hinzuhören. Die Mutter stellte sich vor ihr Kind. Ein Löwe mit glitzernden Juwelen am Halsband streckte sie nieder, ein zweiter sprang hinter dem Kind her.Renn, Kleine, renn! Alexanders Finger schlangen sich um das Gitter. Er lehnte seine Stirn dagegen.Langsam atmen, nicht durchdrehen.
Er kannte sie alle, die Argumente für die Spiele: Die Menschen, die man den Löwen vorwarf, waren Verbrecher, die den Tod verdient hatten. Die, die jetzt gerade niedergemacht wurden, gehörten zu einer Religion, die Rom zerstören wollte. Nun gut. Aber vielleicht hatte eine Gesellschaft, die derart grausam selbst kleine Kinder umbrachte, nichts anderes verdient?
Die verzweifelten Schreie des Kindes jagten eiskalte Schauer durch seinen Körper. Fast war er dankbar, als das Maul der Löwin sich um die kleine Kehle schloss und sie verstummen ließ. Dann hörte er das rohe Lachen des hinter ihm stehenden Wachsoldaten: „Das füllt dem Löwen mal gerade ’nen h