KAPITEL 1
Meine Finger fuhren langsam über das seidige schwarze Fell. Es glänzte herrlich im Schein der Nachmittagssonne. Meine Hand erreichte das Gefieder der mächtigen Schwingen. Ehrfürchtig strich ich darüber und freute mich über das samtige Gefühl, das ich an meiner Haut spürte.
»Bist du sicher?«, hauchte ich.
Ein Schnauben antwortete mir. Kaleidos wandte seinen Kopf und blickte mich abwartend an. Inzwischen wirkte der geflügelte Hengst ein wenig genervt, was ich gut verstehen konnte. Immerhin hatte ich ihn gerade zum zehnten Mal das Gleiche gefragt.
Kaleidos und ich hatten in den letzten zwei Wochen viel Zeit miteinander verbracht. Ich hatte den Rat des Erdgeistes befolgt und neben meinem Training in der Holografie-Halle zusätzliche Übungsstunden am Waldsee eingelegt, um den Umgang mit den Elementen zu vertiefen. Zuvor hatte ich ausschließlich mit meinem Teamkollegen Colin trainiert und ich hatte ihm wirklich viel zu verdanken. Mit unerschütterlicher Geduld hatte er mir nicht nur zu ungeahnter körperlicher Ausdauer verholfen, sondern auch meine mentalen Fähigkeiten geschult.
Trotzdem hatte ich ihm gesagt, dass ich die Übungen draußen gern allein machen wollte, weil ich mich dann besser konzentrieren konnte. Kaleidos war zwar immer dabei, doch er hielt sich stets wie ein stummer Wächter im Hintergrund, bis ich fertig war. Nur wenn ich mich ärgerte, weil die Kräfte des Orinions nicht so reagieren wollten wie gewünscht, trat er hinter mich und wuselte mir beruhigend mit seinen Nüstern durchs Haar.
Der Hengst konnte nicht sprechen und war doch zu einem der wichtigsten Gesprächspartner geworden, den ich jemals gehabt hatte. Ich erzählte ihm oft Dinge, die ich sonst keinem anvertraute. Ganz gleich, ob es Erlebnisse aus meiner Kindheit waren oder Fragen, die mich gegenwärtig beschäftigten. Oft sprudelten die Worte ungehindert aus mir heraus und mir wurde erst hinterher bewusst, dass ich sie überhaupt gedacht hatte. Kaleidos hörte mir stets voller Geduld zu, er tröstete mich oder lachte mit mir. Und dazu brauchte er gar keine Stimme.
Ich hatte schnell gelernt, den geflügelten Hengst auch ohne Worte zu verstehen. Manchmal brauchte es vielleicht ein paar Minuten, bis ich kapierte, was er mir sagen wollte. So wie auch an diesem Nachmittag, als er nach meinen Übungen immer wieder um mich herumtänzelte, mit seinen Flügeln wackelte und mich auffordernd anstupste.
»Ich darf also wirklich auf dir reiten?«, flüsterte ich.
Kaleidos rollte hingebungsvoll mit den Augen. Er hob einen seiner riesigen Flügel und ließ sich wie ein Zirkuspferd auf ein Knie sinken, um mir leichteren Zugang zu seinem Rücken zu gewähren.
Ich legte beide Hände auf seinen Widerrist und konnte mein Glück kaum fassen. Er hatte mir zwar schon vor Längerem angeboten, auf ihm zu reiten, doch ich hatte mich bisher nicht getraut, dieses Angebot anzunehmen. Irgendwie schien es mir unangebracht, ein geflügeltes Pferd um einen Ausritt zu bitten.
Aufgeregt strich ich mir die Haare aus der Stirn. Obwohl Kaleidos kniete, war er noch ganz schön groß. Ich überlegte fieberhaft, wie ich seinen Rücken erklimmen konnte.
»Wenn ich dir wehtue, gibst du Bescheid, okay?«
Er zuckte mit seinen Ohren und nickte aufmunternd. Ich sammelte mich kurz und machte schließlich einen beherzten Sprung, so dass ich bäuchlings auf ihm landete. Ungelenk robbte ich noch ein wenig nach vorn, bis ich ein Bein über seinen Rücken schwingen konnte. Ich stützte mich auf seinen Widerrist, um nicht vornüberzukippen.
»Alles klar. Ich denke – ahh!«
Kaleidos war aufgestanden und gab ein glucksendes Geräusch von sich. Offenbar amüsierte er sich über meinen ungeschickten Versuch, das Gleichgewicht zu halten.
»Hey, hab ein wenig Nachsicht! Ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen! Passt das überhaupt so? Oder soll ich noch ein Stück zurück?«
Der Hengst schüttelte den Kopf, was mich sofort wieder zum Wackeln brachte. Reiten sah bei anderen immer so einfach aus, doch ich stellte schnell fest, dass es ganz schön schwierig war. Vor allem gab es offenbar einen guten Grund dafür, dass die meisten Reiter Sättel benutzten. Kaleidos war wirklich nicht dick, aber seine Rundungen machten es mir nicht gerade leicht, Halt zu finden. Auch weil ich penibel darauf achtete, ihn möglichst nicht zu fest zu umklammern.
Der Hengst schlug leicht mit den Flügeln und sta