Prolog
Von Komödianten und Skeptikern
Vor seinem Gespenste im Hamlet richten sich die Haare zu Berge,
sie mögen ein gläubiges oder ungläubiges Haupt bedecken.
Gotthold Ephraim Lessing
Von wegen Tragödie.Hamlet ist einfach zum Lachen. Kein vielgescholtenes Regietheater unserer Tage braucht es zu dieser Erkenntnis, keine Dekonstruktion und was der Verwirrungen noch mehr sind in vermeintlich postdramatischen Zeiten. Wer es nicht glaubt, schlage nach bei Charles Dickens. In seinem zwischen 1860 und 1861 in Fortsetzung erschienenen RomanGroße Erwartungen liefert er uns folgende Schilderung einerHamlet-Aufführung, mit der eine Wanderbühne in der englischen Provinz zu reüssieren versucht:
Bei unserer Ankunft in Dänemark fanden wir König und Königin dieses Landes in zwei Lehnsesseln auf einem Küchentisch thronend vor, wo sie Hof hielten. Der gesamte dänische Adel war anwesend, und er bestand aus einem edlen Knaben in den Waschlederstiefeln eines riesenhaften Vorfahren, einem ehrwürdigen Pair mit schmutzigem Gesicht, der recht spät im Leben aus dem Volk aufgestiegen zu sein schien, und der dänischen Ritterschaft mit einem Kamm im Haar und einem Paar weißseidener Beine und von insgesamt weiblichem Aussehen.1
Wenn dann noch der Darsteller des Titelhelden mit bürgerlichem Namen Wopsle heißt, vermag das ebenfalls kaum Gutes zu verheißen (zumindest nicht bei Dickens), oder genauer gesagt: Hier hat das Lächerliche einen trefflichen Namen. Obschon das Publikum ihm durchaus wohlwollend Talent zusprach, wie er da «mit finsterer Miene und verschränkten Armen» stand, nur hätten seine Locken und seine Stirn ein wenig echter wirken dürfen.2 An Kuriosa hatte es hier offenkundig keinen Mangel: So gab es beispielsweise einen hustenden Geist, der einen Spickzettel an seinem Stab befestigt hatte, um ja nicht den Faden zu verlieren. Die auffallend dralle Königin wiederum war für den Geschmack des Publikums von entschieden zu viel Messing umreift, weshalb sie «laut und deutlich als ‹Kesselpauke› bezeichnet» wurde.3 Auch andere Mitspieler wurden zur Zielscheibe solcher humoristischen Einlagen, vor allem aber Hamlet selbst. Seine monologisch vorgetragenen Fragen verfehlten ihren tragischen Ernst aufs Zuverlässigste. Dies schon deshalb, weil das Publikum sich von ihnen immer wieder angesprochen fühlte und heftig über die rhetorischen Einwürfe zu debattieren begann. Die Lachsalven, mit denen Hamlet stets begrüßt wurde, waren im Grunde noch das Freundlichste an Publikumsreaktion. Die schwersten Prüfungen hatte Mr. Wopsle während der Friedhofsszene zu ertragen. Den Saal indes amüsierte dies alles königlich, schließlich hatte er auch vortrefflich mitgespielt. Nur war auf diese Weise die Tragödie in Nichts aufgelöst, wenn nicht gerade darin die prekäre Botschaft verborgen lag. Erstaunlich allerdings, wie wenig dieses Debakel den dänischen Prinzen Mr. Wopsle rührte, denn der gab hinterher zu bedenken, seine Deutung sei vielleicht «ein wenig zu klassisch und gedankenschwer für das hiesige Publikum» gewesen.4
Überhaupt hat das 19. Jahrhundert gern über Hamlet gelacht und die Tragödie komisch verdreht, travestiert, parodiert und persifliert. Unnötig, all die Produkte dieser Art hier aufzulisten, die vor allem ein Ziel kannten: das Tragische im Lächerlichen versinken zu lassen. Kein Wunder, wenn da sogar ein berufener Sprach- und Literaturwissenschaftler wie Karl Moritz Rapp in seinenStudien über das englische Theater von 1862 zu bedenken gab,Hamlet