1 — Die Insel
20. Jahr, zweiter Monat, 21. Tag der Ära des Himmlischen Friedens
21. Februar 1945
Stille breitete sich im Bunker aus. Staub rieselte von der Decke. Der schwefelige Geruch nach faulen Eiern überlagerte alles andere.
»Captain?«
Es war ein Gefreiter. Takahashi, Sugita, Kanzaki, Asano, Togawa, Fukuyama, Abe – wer behielt da noch den Überblick? Es hatte schon so viele Namen gegeben.
»Captain, der Beschuss hat aufgehört. Heißt das, sie kommen?«
»Ja«, erwiderte er. »Das heißt, sie kommen.«
Der Offizier hieß Hideki Yano. Ein Captain des 145. Infanterieregiments, zweites Bataillon unter Yasutake und Ikeda, ein Teil von Kuribayashis 109. Division.
Die Decke war niedrig und es stank nach Schwefel und Fäkalien, weil alle Männer wegen des verschmutzten Wassers die Ruhr hatten. Es handelte sich um eine typische Festungsanlage der Kaiserlichen Armee, einen flachen Betonbunker. Über lange Monate hatte man diesen mit Eichenstämmen aus dem einzigen Eichenwald der Insel verstärkt, der inzwischen nicht mehr existierte.
Mittlerweile behalf man sich damit, Sand über ihn zu schütten. Es gab drei Schießscharten. Hinter jeder ruhte eine Typ-96-Maschinenkanone auf einem Stativ, die von einem Richtschützen und mehreren Ladeschützen bedient wurde. Jedes Schussfeld deckte fächerförmig Hunderte Meter einer eintönigen Landschaft ab, geprägt von schwärzlichen Sandhügeln und spärlicher Vegetation. Der Bunker unterteilte sich wie die Hülle eines Perlboots in drei Kammern. Selbst wenn eine oder zwei dieser Kammern zerstört wurden, konnte die letzte Kanone noch bis zum Ende weiterfeuern. Überall schmückten die jüngsten Weisungen aus dem Hauptquartier von General Kuribayashi die Wände, Auszüge aus einem Dokument mit dem Titel ›Schlachtgelübde der Tapferkeit‹. Darin wurden die Pflichten eines jeden Soldaten gegenüber dem Kaiserreich zusammengefasst:
Vor allem anderen widmen wir uns der Verteidigung dieser Insel.
Wir wollen mit Bomben die feindlichen Panzer stürmen und sie zerstören.
Wir wollen uns mitten unter die Feinde schleichen und sie vernichten.
Mit jeder Salve werden wir, ohne Fehl, den Feind töten.
Jeder Mann nimmt die Pflicht auf sich, zehn feindliche Kämpfer zu töten, ehe er selbst in den Tod geht.
»Ich habe Angst, Captain«, gestand der Gefreite.
»Die habe ich auch«, antwortete Yano.
Draußen setzte sich das kleine Reich des Captains fort. Sechs Gräben mit Nambu-Maschinengewehren, jeder bemannt mit einem Schützen, einem Ladeschützen und zwei oder drei Gewehrschützen, die die Flanken bewachten. In weiteren Vertiefungen lauerten Märtyrer mit Gewehren. Für sie gab es kein Entrinnen; sie wussten, dass sie bereits so gut wie tot waren. Sie lebten nur noch, um diese zehn Amerikaner zu töten, bevor sie ihr eigenes Leben opferten. Diese Männer hatte es am schlimmsten erwischt. In den Bunker konnten keine Granaten eindringen. Er bestand aus 1,20 Meter dickem Beton, von Stahlstangen durchzogen. Aber dort draußen konnten die Geschosse der Schiffsartillerie der Flotte vor der Küste einen Mann in Sekundenschnelle zerfetzen. Bei einer präzise treffenden Granate fand niemand mehr Zeit für ein Todesgedicht.
Der unmittelbar bevorstehende Angriff verlieh dem Captain neue Energie. Er schüttelte die monatelange Erstarrung ab, die Verzweiflung, die Gedanken an das miese Essen, den