: Klaus Müller
: Stiefelschritt und süßes Leben Ein Intermezzo
: mdv Mitteldeutscher Verlag
: 9783954628414
: 1
: CHF 12.60
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 288
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Müllers zweiter Band seiner in Atem haltenden Autobiografie erzählt von den Mannesjahren des Autors in der DDR, von seiner Liebe zu Penelope und den Amouren zwischen Rostock und Dresden, aber auch von den Zumutungen in der NVA, der »Friedensarmee« des kleinen Lands, sowie den vielen Unternehmungen, sich das Leben so lebenswert wie nur möglich zu gestalten. So hält sich Ernstes und Skurriles die Waage, wird gezeigt, wie es bisweilen möglich war, die Verdikte der »alten Männer« in Berlin zu unterwandern ...

Klaus Müller, geb. 1941 in Dresden, lebt in Rostock. Ausbildung zum Maschinenschlosser. Nach der Abendschule, die er nicht beenden durfte, und Lehre als Kellner und Gaststättenleiter viele Jahre im gastronomischen Gewerbe tätig. Für seine spektakuläre Italienreise, bis heute Gegenstand des öffentlichen Interesses, eignete er sich umfangreiche nautische/seglerische Kenntnisse an. Nach der Wende war er als Projektleiter und ist nun als Sachbuchautor tätig.

ZWEITES KAPITEL: „BEI KÜNSTLERS“


(November 1965 bis Januar 1968)

„Secundogenitur“


Gleich in den ersten Tagen meiner wiedergewonnenen Freiheit zwang mich die Erschöpfung meiner Liquidität wieder zur feuerroten Helga in die „Kaskade“. Die Genossin Gerster tat sehr erfreut, mich wiederzusehen. Sie meinte, ich könne sofort in der neueröffneten Tanzbar „Secundogenitur“ anfangen, wenn ich mich in den laufenden Qualifizierungskursus an der Betriebsakademie der HO-G einklinken würde, um dort den Facharbeiterbrief „Kellner“ zu erwerben. Die zwei Monate, die der Kursus schon laufe, nachzuholen, würde mir doch bei meiner Intelligenz nicht schwerfallen, so schmeichelte Helga mit ihrem undefinierbaren Blick aus den grünblauen Augen unter dem feuerroten Wuschelkopf.

Ich akzeptierte und begann am nächsten Tag meinen Kellnerjob in der Tanzbar „Secundogarnitur“. Es waren jene Räume, die heute das noble Wiener Kaffeehaus gleichen Namens auf der Brühlschen Terrasse beherbergen.

Die „Secundogenitur“ war ursprünglich dazu gedacht, den Zweitgeborenen (daher der Name) der sächsischen Kurfürsten aus dem Hause Wettin eine standesgemäße Bleibe zu bieten. Das Gebäude an der Brühlschen Terrasse war beim großen Bombenangriff auf Dresden im Februar 1945 nicht völlig zerstört worden, so dass es gelang, es, ähnlich anderen Dresdner Repräsentationsbauten, mit den bescheidenen Mitteln derDDR-Bauwirtschaft vor dem völligen Verfall zu bewahren.

In einem historisch vergleichbar bedeutenden Gebäude residierte die Betriebsakademie derHO-Gaststätten Dresden, die ich an meinem ersten Ruhetag aufsuchte. Diese Einrichtung, die innerbetriebliche Qualifizierungen auf Facharbeiterniveau durchführte, befand sich in der Goetheallee, Ecke Lothringer Weg, in der Nähe der „Kaskade“, deren bevorzugte Lage schon beschrieben worden ist. Es war jenes „Judenhaus“ von 1943, das Victor Klemperer in seinem beeindruckenden Erinnerungswerk namhaft gemacht hat. Dabei handelte es sich um eine repräsentative Villa mit einem geradezu einschüchternden Treppenhaus und herrschaftlichen Räumen, in denen nun die Schulungen durchgeführt wurden.

Es hatte natürlich sein Gutes, dass dieDDR-Führung ständig bemüht war, ihre „herrschende Klasse“, die Arbeiter und Bauern, zu qualifizieren, weil stets Mangel herrschte und aus Wenigem etwas gemacht werden musste.

Heute ist das umgekehrt: Wenige produzieren Überfluss, der von den Massen konsumiert werden soll. Damit diese Konsumentenmassen nicht die Grundfrage stellen: Wozu das ganze überflüssige, teure und hässliche Zeug, das uns die Herrschaft über die Zeit, unsere Zeit, raubt, müssen sie möglichst dumm sein.

Dem Qualifizie