: Gerhart Hauptmann
: Werner Bellmann
: Der Biberpelz Eine Diebskomödie - Hauptmann, Gerhart - Deutsch-Lektüre, Deutsche Klassiker der Literatur
: Reclam Verlag
: 9783159612065
: Reclams Universal-Bibliothek
: 1
: CHF 2.60
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: Dramatik
: German
: 142
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das offene Ende von Hauptmanns »Diebskomödie« in vier Akten überrascht. Und zwar so sehr, dass das Publikum der Uraufführung am 21. September 1893 erst einmal irritiert auf den Plätzen des Deutschen Theaters sitzen blieb. Der Amtsvorsteher Wehrhahn, ein Vertreter der Obrigkeit, bescheinigt der Biberpelz-Diebin Mutter Wolffen, sie sei »eine ehrliche Haut«. Wie konnte es so weit kommen? Textgrundlage dieser Ausgabe ist die unter Hauptmann-Forschern immer noch maßgebliche Centenar-Ausgabe, die sorgsam mit dem Erstdruck von 1893 abgeglichen wird. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Gerhart Hauptmann (15.11.1862 Ober-Salzbrunn [Schlesien] - 6.6.1946 Agnetendorf [Schlesien]) gehört zu den bedeutendsten Vertretern des Naturalismus. Nach einer abgebrochenen Lehre als Landwirt und dem zweijährigen Studium der Bildhauerei in Dresden reifte während einer Italienreise und dem Umzug nach Erkner in der Nähe von Berlin der Entschluss, freier Schriftsteller zu werden. Seine Mitgliedschaft im naturalistisch geprägten Dichterverein 'Durch' prägte ihn stark. So befassen sich seine Werke überwiegend mit der Idee der Weichenstellung des Menschen durch seine Herkunft. Handelt beispielsweise 'Vor Sonnenaufgang' - sein erster Erfolg als Dramatiker - vom Niedergang einer Bauernfamilie, schildert Hauptmann in der novellistischen Studie 'Bahnwärter Thiel' die Ohnmacht der Arbeitergesellschaft gegenüber der aufkommenden Industrialisierung. Zu seinen bekanntesten Werken gehört das Familiendrama 'Die Weber', das den Weberaufstand im Jahre 1844 thematisiert. Für sein dramatisches Werk wird Hauptmann 1912 mit dem Literaturnobelpreis geehrt.

[9]Erster Akt


Kleiner, blaugetünchter, flacher Küchenraum mit niedriger Decke; ein Fenster links; eine rohgezimmerte Tür, ins Freie führend, rechts; eine Tür mit ausgehobenem Flügel mitten in der Hinterwand. – Links in der Ecke der Herd, darüber an der Wand Küchengerät am Rahmen, rechts in der Ecke Ruder und Schiffereigerät; gespaltenes Holz, sogenannte Stubben, unter dem Fenster in einem Haufen. Eine alte Küchenbank, mehrere Schemel usw. usw. – Durch den leeren Türrahmen der Hinterwand blickt man in den zweiten Raum. Darin steht ein hochgemachtes, sauber gedecktes Bett, darüber hängen billige Photographien in noch billigeren Rahmen, Öldruckköpfe in Visitenkartenformat usw. Ein Stuhl aus weichem Holz ist mit der Lehne gegen das Bett gestellt. – Es ist Winter, der Mond scheint. Auf dem Herd in einem Blechleuchter steht ein brennendes Talglicht. Leontine Wolff ist auf einem Schemel am Herd, Kopf und Arme auf der Herdplatte, eingeschlafen. Sie ist ein siebzehnjähriges, hübsches blondes Mädchen in der Arbeitstracht eines Dienstmädchens. Über die blaue Kattunjacke hat sie ein dickes, wollenes Brusttuch gebunden. – Einige Sekunden bleibt es still, dann hört man, wie jemand bemüht ist, von außen die Tür aufzuschließen, in der jedoch von innen der Schlüssel steckt. Nun pocht es.

FRAU WOLFF,

unsichtbar, von außen. Adelheid! Adelheid!Stille; dann wird von der andern Seite ans Fenster gepocht. Wirschte gleich uffmachen!

LEONTINE,

im Schlaf. Nein, nein, ick lass’ mir nich schinden!

[10]FRAU WOLFF.

Mach uff, Mädel, sonste komm’ ich durchs Fenster.Sie trommelt sehr stark ans Fenster.

LEONTINE,

aufwachend. Ach, du bist’s, Mama! Ick komme ja schon!Sie schließt innen auf.

FRAU WOLFF,

ohne einen Sack, welchen sie auf der Schulter trägt, abzulegen. Was willst’n du hier?

LEONTINE,

verschlafen. ’n Abend, Mama!

FRAU WOLFF.

Wie bist’n du reingekommen, hä?

LEONTINE.

Na, übern Ziejenstall lag doch der Schlüssel.Kleine Pause.

FRAU WOLFF.

Was willste denn nu zu Hause, Mädel?

LEONTINE,

läppisch maulend. Ich soll woll man jar nich mehr bei euch komm?

FRAU WOLFF.

Na, sei bloß so gutt untu dich a bissel. Das hab’ ich zu gerne.Sie läßt den Sack von der Schulter fallen. Du weeßt woll noch gar nich, wie spät daß schonn is? Mach bloß, daßte fortkommst zu deiner Herrschaft.

LEONTINE.

Wenn ick da man ooch wer mal’n bißken zu spät komm!

FRAU WOLFF.

Nu nimm dich in Obacht, hast de verstanden! Und sieh, daßte fortkommst, sonst haste verspielt.

LEONTINE,

weinerlich, trotzig. Ick jeh’ nich mehr bei die Leute, Mama!

FRAU WOLFF,

erstaunt. Du gehst nich …Ironisch. Ach wo, das ist ja was ganz Neues.

LEONTINE.

Na brauch’ ick mir immer lassen schinden?

FRAU WOLFF

war bemüht, ein Stück Rehwild aus dem Sack hervorzuziehen. I, schinden tun se dich also bei Kriegers? Nee, so a armes Kind aber ooch! – Mit so was komm mer ock uffgezogen!A Frauenzimmer wie a Dragoner …! Nanu faß an, dort unten a Sack! Du kannst[11]dich woll gar nichtälscher anstellen? Bei mir haste damit kee Glicke nich! ’s Faulenzen lernste bei mir erscht recht nich!Beide hängen den Rehbock am Türpfosten auf. Nu sag’ ich dersch aber zum letzten Male …

LEONTINE.

Ick jeh’ nich mehr bei die Leute hin. Denn jeh’ ick lieber int Wasser, Mama!

FRAU WOLFF.

Na, daßte ock bloß keen’n Schnuppen krigst