: Adolf Muschg
: Der weiße Freitag Erzählung vom Entgegenkommen
: Verlag C.H.Beck
: 9783406706226
: 1
: CHF 16.20
:
: Erzählende Literatur
: German
: 251
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Goethes zweite Schweizer Reise 1779 hätte gut die letzte des damals Dreißigjährigen sein können, und der 'Werther' sein einziges bekanntes Werk. Denn das Risiko einer neunstündigen Fußwanderung über die Furka im November durch Neuschnee war unberechenbar. Aber der frisch ernannte Geheimrat hatte es auf den kürzesten Weg zu seinem heiligen Berg, dem Gotthard, abgesehen, seinen acht Jahre jüngeren Landesfürsten Carl August mitgenommen und alle Warnungen in den Wind geschlagen. Adolf Muschg liest diesen 12. November, den 'weißen Freitag', die Wette Goethes mit seinem Schicksal, als Gegenstück zu Fausts Teufelswette und zugleich als Kommentar zum eigenen Fall eines gealterten Mannes, der mit einer Krebsdiagnose konfrontiert ist. Als Zeitgenosse weltweiter Flucht und Vertreibung und einer immer dichteren elektronischen Verwaltung des Lebens findet er gute Gründe, nach Vorhersagen, Warnungen und Versprechen in einer Geschichte zu suchen, die gar nicht vergangen ist. Sie handelt vom Umgang mit dem Risiko, dem auch der noch so zivilisierte Mensch ausgesetzt ist, weil er es als Naturgeschöpf mit Kräften zu tun hat, die er nicht beherrschen kann. Muschg hat mit dieser Doppelbelichtung zweier Reisen sein persönlichstes Buch geschrieben und sich ihrem bei aller Verschiedenheit gemeinsamen Grund genähert, den man nur im Erzählen ahnt - mit immer noch offenem Ende und doch im Wissen um die Endlichkeit, die nicht zu überschreiten ist.

<p>Adolf Muschg, geboren 1934 in Zürich, war u. a. von 1970– 1999 Professor für deutsche Sprache und Literatur an der ETH in Zürich und von 2003– 2006 Präsident der Akademie der Künste Berlin. Sein umfangreiches Werk, darunter die Romane"Im Sommer des Hasen" (1965),"Albissers Grund" (1977),"Das Licht und der Schlüssel" (1984),"Der Rote Ritter"(1993),"Sutt rs Glück" (2004),"Eikan, du bist spät" (2005) und"Kinderhochzeit" (2008) wurde mit zahlreichen Preisen ausge­ zeichnet, darunter der<em>Hermann-Hesse-Pr is</em>, der<em>Georg-Büchn r-Preis</em>, der<em>Grimmelshausen-P eis</em>und zuletzt der<em>Grand Prix de Littérature</em> er Schweiz.</p>

Und wie weiter?  wollte der Graf nun doch wissen. Die nahe Geisterstunde kam gerade recht für die Fortsetzung von Wedels Bericht.

Nun denn: Weber blieb mit dem Rücken zum Fenster stehen und perorierte dabei ununterbrochen, denn der Lauscher glaubte seinen Bariton bis in den Hof hinaus zu hören. Aber er war nicht der Mann aufzugeben, bevor das Rätsel gelöst war, und Kätter verschaffte ihm Gelegenheit dazu, als sie für Wedels kranken Johann leihweise einsprang. Die Stallmeisterin war mit ihr gerade sehr unzufrieden, dachte sogar daran, sie auf ihren Bauernhof zurückzuschicken. Die nervöse Natur brauchte zwar eine Magd, welche die saumäßigen Spuren der Ehepflicht wieder aufräumte, verübelte ihr aber zugleich, daß das arme Kind als Zeugin für Vorgänge gelten mußte, deren Verbreitung unter Dienstboten sie nicht wünschte, weil das Gerede danach unaufhaltsam auch in die oberen Etagen dringt. Dieser Argwohn war, wie Kätter schluchzend versicherte, ganz unberechtigt, und auch jetzt redete sie nur, weil sie einen Menschen brauchte, dem sie ihr Leid klagen konnte.

Dieser Mensch war Wedel, ihr Dienstherr leihweise, und sie schien gar nicht zu bemerken, daß sie gerade ihr Gelübde brach, während er ihr tröstend zusprach und gar den Arm um sie legte, um ihre Tränen zu trocknen. Da kam es, wie es kommen mußte, denn natürlich war das Mädchen keine heilige Unschuld und hatte beim naturnahen Treiben auf dem Bauernhof nicht nurzugesehen. Wedel trocknete immer noch, und bald schon wieder, ihre Tränen, als er seine eigenen Säfte nicht länger hatte zurückhalten können. Dabei galt es auch noch mäuschenstill zu sein, damit Wedel mit einem Ohr gewissermaßen im Unterstock verweilen konnte, wo Webers Stimme aber keinen Augenblick innehielt und in hohem, gewissermaßen g