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Samstag, 7. Februar 1976
Mike Notto war besorgt. „Warum macht Joe nicht auf? Und wieso bellt Abba andauernd?“
Hauptkommissar Hans Söhnlein zuckte mit den Schultern. Die beiden standen vor meiner Haustür in der Stephan-Heise-Straße 41. „Vielleicht ist er kurz weggefahren?“, schlug unser Chef vor.
„Nein.“ Mike wies den Bürgersteig hinunter, in Richtung der Westhausener Waschküche. „SeinSchneewittchen-Sarg parkt doch da vorne. Außerdem, wo sollte er hinwollen an einem Samstag um 9 Uhr morgens?“ Mein Partner drückte abermals auf die Klingel. Bis auf Abbas Gebell erntete er keine Reaktion. „Da stimmt was nicht! Joe ist schon eine ganze Weile so merkwürdig. Noch nachdenklicher als sonst. Als würde er irgendwelche düsteren Pläne ausbrüten. Ich sage Ihnen, Chef, die Suspendierung hat ihn mehr getroffen, als er zugibt.“
Söhnlein runzelte die Stirn. „Sie denken doch nicht, dass er im Stande wäre, sich etwas anzutun?“
Ehe Mike antworten konnte, drang ein dumpfer Schrei aus meiner Wohnung.
„Das war Joe!“ Mit beiden Fäusten trommelte Mike gegen die Tür. „Hörst du mich, Partner?!? Alles in Ordnung?!? Gib Antwort!“
Nun wurde auch Söhnlein nervös. „Allmählich glaube ich, dass Sie mit Ihrer Vermutung recht haben. Los, Mike, wir müssen zu ihm!“
Sie holten Schwung, um mit den Schultern voran die Tür aufzubrechen. Im gleichen Augenblick wurde ihnen geöffnet. Die zwei erstarrten in der Bewegung und schauten verblüfft auf die bildschöne Frau im Türrahmen. Meine japanische Freundin Fujiko Shimada lächelte lieblich. „Guten Morgen, Mike-san! Ist das ein Besuch oder ein Überfall?“
Ihr Anblick hatte Mike die Sprache verschlagen. Sie war lediglich mit einem knappen Morgenmantel im Kimono-Stil bekleidet. Der schenkellange Saum offenbarte hübsche nackte Beine. Aus ihrem Zopf hatte sich eine schwarze Haarsträhne gelöst und hing wie ein Fragezeichen in dem niedlichen Puppengesicht.
Hans Söhnlein räusperte sich verlegen. „Verzeihung, dass wir zu dieser Stunde stören. Sie müssen Fräulein Shimada sein. Joe hat mir viel von Ihnen erzählt. Schön, Sie einmal persönlich kennenzulernen.“ Er stellte sich vor.
Fujiko strahlte ihn an.
„Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Herr Söhnlein – oder sollte ich besser sagen, Mister Brillant?“
Der Hauptkommissar lachte herzlich. „Diesen Spitznamen haben mir die Burschen im Präsidium verpasst. Wäre ich ein eitler Mensch, würde ich annehmen, dass ich ihn meinem brillanten Verstand zu verdanken habe. Aber es ist wohl eher eine Anspielung auf die Sektmarke Söhnlein Brillant.“
„Treten Sie ein. Sie möchten sicher mit Joe sprechen.“
Mike fand die Sprache wieder. „Ja, wenn der Hausherr dazu in der Lage ist. Wir haben ihn schreien gehört. Ist was passiert?“
In Fujikos Mandelaugen tauchte ein bedauernder Ausdruck auf. „Ich bitte um Entschuldigung. Das ist mein Fehler gewesen. Ich bin ein wenig zu stürmisch mit ihm umgegangen.“
„Aha! Verstehe!“ Mike grinste anzüglich und zwinkerte Mister Brillant zu. Sie waren sich sicher, uns in einem Moment trauter Zweisamkeit überrascht zu haben. Fujiko ging die Stufen zum Hochparterre voraus und bat meine Besucher nach japanischer Sitte, vor dem Betreten der Wohnung die Schuhe auszuziehen. Ich war gerade dabei, mich vom Wohnzimmerteppich aufzurappeln und Hundehaare von meinem dunkelgrünen Strickpullover zu zupfen. Abba wuselte um mich herum. Als sie Mike sah, rannte meine Hovawart-Hündin auf ihn zu. Er kraulte sie hinter ihren Schlappohren. „Ei, was für neckische Spiele treibt dein Herrchen denn am frühen Morgen?“
Abba stupste ihn mit der Pfote an.Spar dir die blöden Sprüche – rück lieber einen Keks raus!
„Sorry, hab nichts für dich. Die Leckerchen in meinen Jeans sind für andere Blondinen bestimmt.“
Leckerchen? Kleiner, ich mache mir nichts aus Frankfurter Würstchen!
Ich fühlte mich genötigt, die Situation zu erklären. „Bevor ihr geklingelt habt, musste mir Fujiko unbedingt einen ihrer neuen Judo-Kniffe vorführen. Hat mich glatt aus den Schuhen gehauen. Sie ist eben eine umwerfende Frau.“
Fujiko lachte hinter vorgehaltener Hand und ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen.
„Damit kennen wir auch den Grund für den Schrei, den wir gehört haben“, schloss Söhnlein.
Mike glaubte mir kein Wo