Auf sich allein gestellt
Als ich aus dem Flieger über die Wolken schaute, erinnerte ich mich, wie ich das allererste Mal losgelassen hatte: vor etwa acht Jahren. Damals war ich am Tag nach dem Abiturball zu Hause ausgezogen und hatte meinen Geburtsort Frankfurt am Main verlassen, um in England zu leben. Meine Eltern brachten mich gemeinsam zum Flughafen. Beide hatten Tränen in den Augen. Es fiel ihnen schwer, mich gehen zu lassen.
»Bei uns hast du immer einen Anker, auch wenn du den Betonklotz jetzt mitnimmst«, sagte mein Vater, der ein Fan von Metaphern und Wortwitzen ist und bei diesem Satz auf meinen riesigen Koffer schaute. Meine Mutter runzelte die Stirn und sagte: »Jetzt mal Spaß beiseite, bei uns hast du wirklich immer Halt.«
Als Teenager war ich eine regelrechte Shoppingqueen gewesen. Weil ich auf einen Großteil meiner Lieblingsklamotten nicht verzichten konnte, hatte ich meinen Koffer möglichst vollgestopft. Er ließ sich nur noch schließen, indem ich mich daraufsetzte, das Material gewaltsam zusammendrückte und langsam den Reißverschluss Zentimeter für Zentimeter bewegte. Das war für meine Eltern schwer mit anzusehen gewesen. Nicht weil ich den Koffer so strapazierte, sondern weil sie wussten, dass der Moment, in welchem sie mich zum Flughafen bringen und loslassen mussten, immer näher rückte. Ihnen war das damals viel bewusster als mir. Ich machte mir bloß Sorgen, ob ich für Übergepäck bezahlen musste oder nicht.
»Mit den Behörden in England können wir dir leider nicht helfen«, sagte mein Vater, der sich als Beamter in Deutschland gut mit derartigen Dingen auskannte.
»Tut uns wirklich leid«, fügte meine Mutter hinzu.
Doch das brauchte es nicht. Es war schließlich meine Entscheidung gewesen, nach Bristol zu ziehen und in einer Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Kinder zu arbeiten.
Darauf gestoßen war ich durch Arjun, der seit knapp einem Jahr dort war und seinen Zivildienst absolvierte. Nachdem ich ihn öfter in der Küstenstadt an der Grenze zu Wales besucht hatte und mich nicht entscheiden konnte, was ich studieren sollte, folgte ich ihm nun nach Bristol. Auch um meine Englischkenntnisse zu verbessern, die nach meinem Abitur immer noch miserabel waren.
In Frankfurt war ich auf ein altsprachliches Gymnasium gegangen, wo in der fünften Klasse Latein die erste Fremdsprache gewesen war. Englisch kam im Anschluss. Leider wurden meine Lehrerinnen regelmäßig krank, sodass ich Englisch nur rudimentär lernte.
Um das zu ändern, machte ich während meiner Schulzeit zweimal eine dreiwöchige Sprachreise nach Eastbourne. Trotz Extraunterricht verbesserten sich meine Englischkenntnisse nur unwesentlich. Dafür sammelte ich andere Erfahrungen: ohne meine Eltern zu reisen, bei einer fremden Familie zu wohnen, eine andere Kultur kennenzulernen. Es trug sehr zu meiner Eigenständigkeit bei, und ich hatte eine großartige Zeit.
Nun zog es mich wieder auf die andere Seite des Ärmelkanals, allerdings war ich dieses Mal vollkommen auf mich allein gestellt. Ich musste mich selbst um meinen Haushalt und Unterhalt kümmern. Dafür hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Festanstellung angenommen.
Arjun hatte mir ein bisschen von der anthroposophischen Einric