1. KAPITEL
Drei Millionen Dollar. Die süßen, dummen Irren auf Amy McCarthys Arbeit vertrauten ihr tatsächlichdrei Millionen Dollar an? Egal, wie oft das passierte, Amy war immer noch erstaunt, dass sie die Leute davon überzeugt hatte, sie wüsste, was sie tat. Ahnten sie denn nicht, dass sie eine Fünfjährige in den Kleidern einer Sechsundzwanzigjährigen war? Wenn sie es täten, hätten sie vermutlich heute Abend nicht die Flasche Champagner geöffnet, um auf ihren Erfolg anzustoßen.
Vermutlich hätten sie ihr auch nicht gesagt, wie stolz sie auf sie waren, weil sie den größten Auftrag in der Geschichte der Firma an Land gezogen hatte. Vermutlich hätten sie getan, was sie hätten tun sollen, und den Kunden an Maree oder Thomas oder einen der anderen Senior-Consultants der PR-Agentur übergeben. An die Erwachsenen. Die praktischen, verlässlichen Erwachsenen, die wussten, was zum Teufel sie taten. Aber nicht sie. Die es schon als Gewinn verbuchte, wenn sie es schaffte, passende Socken für den Besuch im Fitnessstudio zu finden.
Amys Grinsen war schon beinahe manisch, als sie die schwere Tür zumSaints öffnete, die hippe Bar mit angeschlossenem Restaurant, wo sie sich mit den anderen traf. Ehrlich. Sie hatte überhaupt keine Ahnung, was sie mit diesem neuen Kunden anstellen sollte. Es handelte sich um die größte Luxushotelkette der gesamten Asien-Pazifik-Region.
Sie wusste nichts über Hotels! Sie war einfach nur seit ihrer Kindheit gut darin, Leute zu allem Möglichen zu überreden. Sie hatte sogar überlegt, ihr Verkaufstalent zu nutzen, als sie an dem „Miss Northern Suburbs“ – Wettbewerb an der Highschool mitgemacht hatte. Aber stattdessen hatte sie sich für Zauberei entschieden. Was vermutlich der Grund war, warum sie verloren hatte. Entweder das oder die Tatsache, dass sie das unbeholfenste Mädchen im Wettbewerb gewesen war, das am wenigsten Sinn für Mode hatte.
Amy erinnerte sich an das lange, fließende Zigeunerkleid, das sie für den „formellen Teil“ des Wettbewerbs ausgesucht hatte. Sie hatte es geliebt, weil sie sich darin so hübsch, weiblich und frei gefühlt hatte. Aber die Jury hatte sie einen Hippie genannt, und offensichtlich gewannen Hippies keine Schönheitswettbewerbe. Also hatte sie verloren. Aber ihre Mutter hatte sie in die Arme geschlossen und ihr gesagt, dass sie viel klüger war als diese dummen Richter, und ihr Vater hatte darauf bestanden, dass sie das schönste Mädchen des ganzen Wettbewerbs war.
Ihre Eltern waren zwei weitere süße, dumme Menschen in ihrem Leben. Sie hielten sie für so viel klüger, cleverer und besser, als sie wirklich war.
Vielleicht ist das der Grund, dachte Amy, dass ich dazu neige, falsche Entscheidungen zu treffen. Zu viele Leute sagten ihr, dass sie alles schaffen könnte. Vielleicht müsste sie sich mit realistischeren Menschen umgeben. Mit geerdeten, praktischen Leuten, die nicht auf das Unmögliche hofften, sondern mit beiden Beinen fest auf der Erde standen.
Menschen wie Willa. Amy erblickte ihre beste Freundin, sobald sie die unterste Stufe der Treppe erreicht hatte, die in die dunkle Bar führte, die in den letzten Monaten zu ihrem Treffpunkt geworden war. Willas strahlendes Lächeln fing das Licht ein und Amy musste ebenfalls lächeln. Die lustige, clevere, verrückte Willa.
Amy konnte es kaum erwarten, ihrer Freundin von den letzten unglaublichen Vorfällen zu erzählen. Natürlich würde sie übertreiben und es noch unglaublicher darstellen, als es tatsächlich war. Sie wusste, das würde Willa zum Lachen bringen, und sie liebte es, wenn Willa lachte. Denn dann musste Amy auch lachen, und es gab nichts, was sie lieber tat. Na gut, vielleicht ausgehen. Und arbeiten. Und so beschäftigt sein wie nur möglich. Denn beschäftigt zu sein bedeutete, sich gut zu fühlen. Und sich gut zu fühlen bedeutete, nicht an die Dinge zu denken, die sie traurig machten.
Ein vertrautes Gefühl regte sich in Amys Magen. Es schoss durch ihren Körper wie eine Feuerwerksrakete, rauschte durch ihr Gehirn und landete direkt in ihren Augen. Sie blieb stehen und schluckte. Dann schüttelte sie den Kopf. Woher kam das denn auf einmal? Sie hatte keine Zeit für Traurigkeit. Keine Zeit, an Dinge zu denken, die sie unglücklich machten. Keine Zeit, an all die Leute zu denken, die sie verletzt hatte oder von denen sie verletzt worden war. Sie wollte Spaß haben. Sie wollte lachen. Sie musste mit Willa sprechen. Sofort.
Mit einem etwas erzwungenen Schwung in ihren Schritten ging sie zu dem Tisch, an dem Willa und ihr Freund Rob saßen sowie ihre anderen Freunde: Scott, Kate, Chantal, Brodie und Jess. Amy war die Letzte, die kam. Das war sie in letzter Zeit oft. Die Arbeit wurde immer verrückter, je mehr Kunden sie annahm, aber es gefiel ihr. Schön beschäftigt bleiben.
Im Näherkommen zählte Amy ihre Freunde durch. Es sollten sieben sein. Aber es waren acht. Da war noch ein unbekannter Mann, der ihr den Rücken zuwandte. Einen Moment lang fragte Amy sich, wer der Neue war. Ihre Gruppe war ziemlich eng und es kamen nur selten Fremde dazu. Und wenn doch mal jemand Neues eingeführt wurde, dann normalerweise über sie.
Amys Blick glitt zu Jess, die den Neuen mit einem seltsamen, verträumten Blick anschaute.Aha! Das war es. Jess hatte den Mann eingeladen. Aber das ergab keinen Sinn, weil Amy heute Morgen noch mit ihr gesprochen und Jess nichts von einem Mann erwähnt hatte.
Sie hatte allerdings keine Zeit, sich über Jess und ihren Mann zu wundern. Sie hatte einen fetten Vertrag gewonnen. Es gab Geschichten zu erzählen und Cocktails zu bestellen.
Amy hängte ihre Louis-Vuitton-Tasche, die sie sich von ihrem letzten Bonusscheck gegönnt hatte, über die Lehne des Stuhls, auf dem der fremde Mann saß, und sagte mit ihrer besten PR-Stimme: „Ladie