: Ivan Ivanji
: Titos Dolmetscher Als Literat am Pulsschlag der Politik
: Promedia Verlag
: 9783853718483
: 1
: CHF 12.60
:
: Politik
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Über fünfzehn Jahre lang hat Ivan Ivanji in den 1970er und 1980er Jahren die Begegnungen von Josip Broz Tito und anderer führender jugoslawischer Politiker mit Staatsmännern des deutschsprachigen Raumes gedolmetscht. Auf diese Weise nahm der Schriftsteller in der Rolle des Übersetzers unmittelbar am historischen Zeitgeschehen teil. 'Titos Dolmetscher' beschreibt Weltgeschichte, gesehen mit den Augen eines Literaten und Übersetzers. Als Teilnehmer von drei großen internationalen Konferenzen - der Gründungskonferenz der KSZE (deren Nachfolge die OSZE angetreten hat) 1975 in Helsinki, der Versammlung der kommunistischen und Arbeiterparteien 1976 in Ostberlin und der Gipfelkonferenz der Blockfreien in Havanna 1979 - entwirft Ivan Ivanji ein sehr lebendiges Bild der so genannten multilateralen Diplomatie der 1970er Jahre, als Jugoslawien im Konzert der Staatengemeinschaft eine allseits anerkannte Rolle gespielt hat. Jahrelang verbringt Ivanji an der Seite Titos und lernt dabei die interessantesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der westdeutschen, ostdeutschen und österreichischen Politik kennen: Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt; Walter Ulbricht, Erich Honecker und Willy Stoph; Bruno Kreisky, Franz Jonas und Kurt Waldheim. 'Titos Dolmetscher' ist ein Zeitdokument der besonderen Art. Ivanji nimmt darin die Rolle des exakten Beobachters ein, distanziert in der politischen Herangehensweise und dennoch mit großer persönlicher Nähe zu den Repräsentanten der europäischen Politik in den 1970er und 1980er Jahren. Am Ende seines Buches drückt der Autor, einem unzeitgemäßen Bekenntnis gleich, seine Sympathie mit dem in schrecklichen Kriegswirren der 1990er Jahre untergegangenen Vielvölkerstaat Jugoslawien und dessen eindrucksvollstem Politiker, Tito, aus.

Ivan Ivanji wurde am 24. Januar 1929 in Zrenjanin in eine jüdische Ärztefamilie hineingeboren. Verhaftet in Novi Sad, verbrachte er über ein Jahr in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald. Dem nazionalsozialistischen Grauen entronnen, studierte Ivanji Germanistik in Belgrad. Er war Lehrer, Journalist, Verlagslektor, Dramaturg und Direktor mehrerer Belgrader Theater. Von 1974 bis 1978 arbeitete er als Botschaftsrat Jugoslawiens in Bonn, danach bis 1981 im jugoslawischen Außenministerium. Von 1982 bis 1988 war Ivanji Generalsekretär des jugoslawischen Schriftstellerverbandes. Seit 1992 lebt er in Wien und Belgrad.

DEUTSCHE SOZIALDEMOKRATEN


Im April 1981, knapp ein Jahr nach Titos Tod, kam Willy Brandt auf seinen eigenen Wunsch zu einem kurzen Pfingsturlaub nach Jugoslawien. Die nach dem Tod des langjährigen Chefs verunsicherte Führung des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens war hoch erfreut. Die politischen Gespräche in Belgrad waren auf Wunsch des Gastes kurz, dann fuhr er ins Hotel „Maestral“ etwas südlich von Budva an die Adria. Da er Wert auf einen privaten Aufenthalt legte und absolut keinen Trubel wünschte, sollte es keinen „großen Bahnhof“ geben. Es wurde kein „Ehrenbegleiter“ von hohem Rang bestimmt, stattdessen schickte man mich – nicht nur als Dolmetscher, sondern sozusagen als Vertreter Belgrads – mit auf die Reise. Ich hatte früher schon oft für Brandt gedolmetscht und ihn als Journalist seinerzeit interviewt, als er 1960 noch Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen war; so war ich ihm schon seit langem bekannt.

Einigermaßen kannte ich die Biografie dieses Mannes, der es sich bescheiden leisten konnte, die Ehren, die ihm meiner Meinung nach durchaus zu Recht erwiesen wurden, ein wenig schmollend abzulehnen. Ich wusste, dass er als uneheliches Kind zur Welt gekommen war, und auch die Kapitel seines Lebens in Spanien, später in Norwegen und Schweden sowie seine Rückkehr nach Deutschland, zu dessen Veränderung er so viel beigetragen hatte, waren mir durchaus bewusst. Ich muss zugeben, ich war eitel; mir behagte es, Chauffeuren und Polizisten Weisungen geben zu dürfen, aber das war sein Verdienst, nicht meines.

Das Wetter war schlecht. Im „Maestral“ hatten Brandt und seine neue, junge Frau Brigitte Seebacher eine Suite bezogen, eine Art Penthouse.

Keine „große Begleitung“, kein Trubel? Mit den Gästen waren zwei deutsche Leibwächter mitgekommen. Aus Belgrad waren außer mir ein Beamter des Protokolls und ein Vertreter der Geheimpolizei als Verbindung zum Personenschutz vor Ort mit von der Partie. Montenegro stellte ebenfalls einen Protokollbeamten, zwei persönliche Leibwächter und eine sogar mir unbekannte Anzahl von sonstigen Polizisten in Uniform und Zivil zur Verfügung. Außerdem stand eine ganze Flotte von Autos jederzeit für uns bereit. Alle diese Begleiter speisten und tranken auf Kosten der Partei, langweilten sich, spielten Karten oder Schach oder lungerten einfach herum und gingen Brandt auf die Nerven.

Frau Brigitte hatte ich vorher nie gesehen. Ich muss eingestehen: Ich war wie so viele andere, die Rut, die vorherige Gattin Brandts, gekannt hatten, unter deren Bann geblieben. Als wir viel früher – ich hatte eben meinen Dienst als Botschaftsrat für Presse und Kultur angetreten – in Bonn zum ersten Mal das Theater besuchten, betrat Rut Brandt zufällig nach uns das Foyer und wirkte so selbstsicher und strahlend, so fantastisch, dass meine Frau mich fragte, ob das eine große Filmschauspielerin sei. Wenn eine Ballerina wie meine Frau von einer anderen Frau so angetan ist,