1. KAPITEL
Megan Cahill wurde durch ein schrilles Klingeln aus ihrem tiefen, traumlosen Schlaf gerissen. Widerwillig rekelte sie sich und wollte den Alarm ihres Weckers abstellen. Als sie jedoch mit der Hand gegen das Rückenpolster ihrer Couch stieß, seufzte sie und setzte sich langsam auf.
Trotz ihrer Schlaftrunkenheit hatte sie bemerkt, dass das Klingeln von allein aufgehört hatte. Während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, rieb sie sich benommen die Augen und schaute sich dann in dem spärlich eingerichteten Wohnzimmer des Hauses um, das sie erst kürzlich von ihrer alten Freundin Emma Dalton Griffin gekauft hatte.
Der Fernseher lief. Auf dem Bildschirm sah man zwei Moderatoren einer Morgensendung, die nach Megans Geschmack zu dieser frühen Stunde bei Weitem zu gut gelaunt waren. Ich muss den Fernseher in der Nacht angelassen haben und davor eingeschlafen sein, dachte sie, als sie an ihrem zerknitterten weißen T-Shirt und den dunkelblauen Shorts hinunterschaute. So, wie sie es viele Nächte getan hatte, seit sie vor zwei Jahren nach Texas zurückgekehrt war.
Das schrille Klingeln zerriss erneut die morgendliche Stille und vertrieb auch den Rest von Megans Schläfrigkeit. Irgendjemand klingelte ungeduldig an ihrer Haustür. Aber warum? Was konnte man so früh am Morgen von ihr wollen?
Sie konnte sich nicht daran erinnern, irgendwelche Pläne für diesen Tag gemacht zu haben. Wahrscheinlich brauchte irgendjemand ihre Hilfe. Vielleicht war es das ältere Ehepaar, das ihr gegenüber wohnte.
Es klingelte ein drittes Mal, gefolgt von lautem Klopfen.
„Einen Moment“, rief Megan und schluckte den aufkommenden Ärger über die unerwartete Störung in ihrem sonst so ruhigen Leben hinunter.
Seit ihrer Rückkehr in die Kleinstadt Serenity hatte sie stets darauf geachtet, dass sie keinem Menschen zu Dank verpflichtet war und dass sie niemandem Dank schuldete. Es war ein einsames Leben, das sie führte, aber auf lange Sicht weniger schmerzhaft. Niemand konnte einem Illusionen rauben, wenn man keine mehr hatte.
Doch jetzt schien jemand ihre Hilfe zu benötigen, und sie hatte ihre Gefühle noch nicht so weit abgeschottet, dass sie einen Menschen in Not einfach abweisen würde.
Sie fuhr sich mit den Händen durch die kinnlangen dunklen Locken, die sie nie bändigen konnte, und lief mit nackten Füßen über den kalten Holzboden zur Tür hinüber. Als sie den Schlüssel im Schloss herumdrehte, hörte sie, wie sich jemand eilig von der Veranda entfernte.
Plötzlich wurde ihr klar, dass sich vielleicht einige Teenager einen Scherz mit ihr erlaubten. Die Sommerferien hatten vor einer Woche begonnen, und einige Lehrer der Serenity Highschool waren bereits Opfer von übermütigen Schülern geworden.
Ärgerlich riss Megan die Tür auf und trat hinaus. In aller Frühe von einem Hilfe suchenden Menschen geweckt zu werden war eine Sache. Von ausgelassenen Teenagern durch einen Streich geweckt zu werden, das war dagegen eine völlig andere Angelegenheit.
Die Sonne war noch nicht am Horizont aufgegangen, als Megan hinaus auf die Veranda trat. Da sie niemanden entdecken konnte, lief sie rasch die Treppe hinunter, um noch einen Blick auf den oder die Störenfriede zu erhaschen. Da sie als Erstes über den Rasen schaute, bemerkte sie den Kinderwagen nicht sofort, der direkt neben der Verandatreppe abgestellt worden war. Erst als das herzzerreißende Schreien eines Säuglings in der morgendlichen Stille ertönte, wurde sie auf den Wagen aufmerksam.
Megan schaute in den Wagen und sah ein winziges Baby, das verzweifelt mit den Fäustchen hin- und herfuchtelte. Ihr Herz machte einen Satz, und ihr Atem stockte.
„Oh, nein! Nein!“, flüsterte sie, während sie sich erneut im Vorgarten umsah, um vielleicht doch noch irgendwo die Person zu entdecken, die das Baby hier an der Treppe abgestellt hatte.
„Kommen Sie zurück!“, rief sie laut. „Bitte, kommen Sie zurück.“
Megan gab sich keine Mühe, die Verzweiflung in ihrer Stimme zu unterdrücken. Panik stieg in ihr auf. Irgendeine verantwortungslose Person hatte ein Baby vor ihrem Haus abgestellt. Jemand, dem offensichtlich nicht bewusst war, was er tat. Sie war der letzte Mensch auf Erden, dem man die Fürsorge für ein Kind anvertrauen sollte!
Doch so laut sie auch rief, das Zwitschern der Vögel und das Schreien des Babys waren die einzige Antwort, die sie erhielt. Dabei konnte die Person, die das Baby hier ausgesetzt hatte, noch nicht weit gekommen sein. Andererseits konnte sie den Säugling nicht allein lassen, während sie nach ihr suchte.
Sie atmete tief durch und beugte sich dann entschlossen über den Kinderwagen. „Nicht weinen, Kleines“, murmelte sie sanft. Die Worte waren ihr so vertraut, dass sie ihr ganz natürlich über die Lippen zu kommen schi