I. Wenn die Nacht am tiefsten ist
»Wie kannst du denn heute schon wissen, dass du morgen krank bist?« Alfred unterbrach die Arbeit an seiner Zigarette und lehnte sich in den Schreibtischsessel zurück.
»Wenn die glaubt, dass ich bis auf Weiteres hier Akten fresse, hat sie sich geschnitten.« Renan hatte einen leeren Kopierpapier-Karton auf ihren Tisch gestellt und räumte hektisch einige teil-private Gegenstände ein. »Und bei dem Lärm ist an Arbeit sowieso nicht zu denken«, ergänzte sie schreiend.
Das Präsidium befand sich seit zwei Monaten im Umbau, was nicht nur Lärm-, sondern oft genug auch Geruchsbelästigungen und zeitweise sogar kleinere Erdbeben mit sich brachte. Einige Dezernate waren ausgelagert worden, nicht so das Dezernat 1, unter anderem zuständig für Straftaten wider Leib und Leben. Soeben hatte sich wieder ein Bohrhammer lautstark bemerkbar gemacht.
»Die Frau Kriminalrätin hält sich doch bloß an die Vorschriften …«
»Jaja, verteidige sie nur, deine Freundin«, rief Renan. »… Teetasse bitte!«
»Sie ist nicht meine …« Alfred seufzte und reichte seiner Kollegin das gewünschte Gefäß. Weder er noch Karla Neumann konnten etwas dafür, dass Renans Bauch mittlerweile beim besten Willen nicht mehr ignoriert werden konnte. Da durfte sie eben nicht mehr zu möglicherweise gefährlichen Außendiensten eingeteilt werden. Alfred hätte genauso reagiert.
»Die körperliche Unversehrtheit von Mutter und Kind gefährdende Einsätze …«, äffte Renan ihre Dezernatsleiterin nach. »Wie oft hatten wir das in den letzten Jahren?«
»Einmal.« Alfred hob die mittlerweile fertiggestellte Kippe hoch. »Also je einmal – ich und du.«
»Ach«, Renan winkte ärgerlich ab. »Ich gebe ihr gerne eine Unterlassungserklärung, dass ich nicht mehr alleine in dunklen Lagerhäusern Mordverdächtigen nachschleiche …«
»Die kann nicht anders, Renan.« Alfred versuchte es nun mit väterlicher Strenge. »Stell dir mal vor, da passiert wirklich was. Muss dir ja nur irgendein Irrer in den Bauch schlagen!«
»Wo ist denn die Mustafa-Sandal-CD?«
»Ja, die solltest du wirklich mitnehmen!«
»Mach nur so weiter«, Renan warf sich in ihren Stuhl und machte sich an den Schubladen zu schaffen, »dann werde ich dich ganz sicher nicht vermissen!«
»Ich dich schon.« Alfred sah aus dem Fenster auf die sich langsam belebende Fußgängerzone.
»Ich bin ja nicht aus der Welt.« Der Bohrhammer machte kurz Pause, und Renans Ton wurde nun etwas milder. »Aber ich lasse mich hier nicht einsperren! Da mache ich lieber von meinen Rückenschmerzen Gebrauch, dann sind die wenigstens auch mal für was gut.«
»Na ja, wenn ihr wirklich vor der Geburt noch umziehen wollt, dann kannst du die freie Zeit sicher ganz gut gebrauchen.«
»Pff«, tönte es nun aus dem Off, da Renan mittlerweile beim untersten Schub angekommen war. »Hast du in letzter Zeit mal die Mietpreise angeschaut?«
»Nein, warum sollte ich?«
»Dann brauchen wir ja an dieser Stelle nicht weiterzudiskutieren.« Ächzend kam sie wieder hoch und rieb sich das Kreuz. Gleichzeitig klingelte Alfr