1 Rechtliche Grundbegriffe
Recht
Unter „Recht“ versteht man die Gesamtheit der verbindlichen Vorschriften, die das Verhältnis einer Gruppe von Menschen zueinander oder zu und zwischen Hoheitsträgern regeln.
DasRecht soll im weitesten Sinn das Zusammenleben der Menschen in einer Gemeinschaft ordnen. Es hat eine Ordnungs- und Friedensfunktion. Von Religion, Sitte und Moral unterscheidet es sich dadurch, dass es erzwingbar, d.h.mit Sanktionen durchsetzbar ist. So kann z.B. die Wohnung eines Straftäters im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens auf richterlichen Beschluss hin durchsucht werden. Auch der Gerichtsvollzieher kann zur Durchsetzung einer zivilrechtlichen Forderung mit einem richterlichen Beschluss die Wohnung des Schuldners betreten, um eine Pfändung vorzunehmen („Gewaltmonopol des Staates“). Im Übrigen ist dies nur in Notfällen, bei Gefahr im Verzug oder mit einer Einwilligung des Berechtigten zulässig.
1.1 Unterscheidung Bürgerliches Recht – Öffentliches Recht
DasBürgerliche Recht (auch Zivilrecht oder Privatrecht) ist die Summe der Rechtsnormen, die das Verhältnis von Personen untereinander regeln („Bürger gegen Bürger“). Solche Vorschriften finden sich insbesondere imBürgerlichen Gesetzbuch (BGB; Behandlungsvertrag, Gebührenansprüche gegenüber Privatpatientinnen etc.) und in arbeitsrechtlichen Gesetzen (Verhältnis des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber).
DasÖffentliche Recht umfasst die Rechtsvorschriften, die das Verhältnis der Hoheitsträger (Organisationen, die Aufgaben für das öffentliche Gemeinwesen erfüllen = Staat) zum einzelnen Bürger oder der Hoheitsträger untereinander regeln („Bürger gegen Staat“). Es handelt sich hierbei
u.a. um Vorschriften aus dem Verfassungsrecht (im Grundgesetz), dem Verwaltungsrecht, dem Strafrecht („Staatsanwalt gegen Bürger“), dem Gerichtsverfassungs- und Prozessrecht und dem Völkerrecht bzw. supranationalen Recht (z.B. EU-Richtlinien).
1.2 Staatsprinzipien
Die tragenden Prinzipien der Bundesrepublik Deutschland sind die derDemokratie (alle Gewalt geht vom Volk durch Wahlen aus), derRepublik (das Staatsoberhaupt wird anders als in der Monarchie gewählt), desBundesstaats (Föderalismus), desRechtsstaats (jedes stattliche Handeln erfordert eine gesetzliche Grundlage) und desSozialstaats (Art. 20, 28 GG). Der Sozialstaat sorgt für desExistenzminimum jedes Einzelnen. Nicht jede Form der Heilbehandlung und der Hebammenhilfe ist Teil des Existenzminimums (z.B. Akupunktur oder Babyschwimmen), d.h., nicht alle Behandlungen bzw. Tätigkeiten werden durch das Sozialamt bezahlt.
Es empfiehlt sich bei Klientinnen, die Leistungen nach Sozialgesetzbuch XII oder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen,vor der Behandlung eine Deckungszusage hinsichtlich der tatsächlich übernommen Behandlungskosten durch das zuständige Amt einzuholen bzw. mit dem Amt grundsätzlich zu klären, welche Kosten üblicherweise (im Rahmen des Existenzminimums) vergütet werden.
Ein Anspruch auf Aufnahme in den Basistarif der privaten Krankenversicherung besteht nicht für Personen, die Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten oder Siebten Kapitel des SGB XII (Sozialhilfe) sind (Urteil des BGH vom 16.07.2014).
1.3 Grundrechte
DieGrundrechte sind in den Art. 1 bis 19 des Grundgesetzes (GG) geregelt.Menschenrechte gelten für alle Menschen,Bürgerrechte nur für deutsche Staatsangehörige.
Grundrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat und können sich daher im Verhältnis zwischen Privaten untereinander nur über Generalklauseln (z.B. bei der Auslegung des Begriffs von „Treu und Glauben“ im BGB) oder im Wege der Auslegung von Rechtsnormen (z.B. beim Begriff der „Sittenwidrigkeit“) auswirken. Die Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht.
1.3.1 Einzelne Grundrechte
Art. 1 GG – Würde des Menschen, unmittelbar geltende Grundrechte
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Art. 2 GG – Freiheit der Person
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Aus demSelbstbestimmungsrecht des Menschen (Art. 2 Abs. 1 GG) folgt, dass für eineHeilbehandlung, die insbesondere mit Körperverletzungshandlungen verbunden ist, eineEinwilligung des Patienten erforderlich ist. Fehlt es an der Einwilligung, liegt ein Behandlungsfehler vor. Art. 2 GG nutzt das Bundesverfassungsgericht u.a., um „neue“ Grundrechte zu entwickeln, so z.B. anlässlich des „Volkszählungs“-Urteils das Recht aufInformationelle Selbstbestimmung.
Art. 3 GG – Gleichheit vor dem Gesetz
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Eine Differenzierung ist nur nach einemsachlichen Grund zulässig. Es besteht kein Anspruch auf Gleichheit im Unrecht (z.B. wenn eine Hebamme eine Leistung zu Unrecht erhalten hat, hat die Kollegin nicht aus Gleichheitsgesichtspunkten den gleichen Anspruch auch zu Unrecht).
Art. 4 GG – Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit, Kriegsdienstverweigerungsrecht
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Kirchengeläut ist u.a. Ausdruck der Religionsfreiheit. Am 27.01.2015 hat das BVerfG entschieden, dass ein pauschalesKopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulenverfassungswidrig ist. Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen einesislamischen Kopftuchs der Fall sein kann. Anders hat das BAG am 24.09.2014 entschieden, als dort das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer anderen Religionszugehörigkeit regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu einem zumindest neutralen Verhalten gegenüber der Evangelischen Kirche nicht in Einklang zu bringen ist.