: Doris Schaeffer, Jürgen Pelikan
: Health Literacy Forschungsstand und Perspektiven
: Hogrefe AG
: 9783456956046
: 1
: CHF 27.50
:
: Allgemeines
: German
: 336
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Über welche Kompetenzen müssen Menschen heute verfügen, um Krankheiten erfolgreich zu bewältigen oder - besser noch - zu vermeiden und um ihre Gesundheit zu erhalten und zu fördern? Angesichts eines komplexer werdenden Gesundheitssystems wird diese Frage international und inzwischen auch im deutschsprachigen Raum unter dem Begriff 'Health Literacy' oder 'Gesundheitskompetenz' diskutiert. In diesem programmatischen Buch wird der Stand der internationalen Diskussion dargestellt und aufgearbeitet. Erstmals werden auch Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte in Deutschland und Österreich gebündelt vorgestellt und daraus folgende Interventionserfordernisse und -ansätze zur Förderung von Health Literacy in den unterschiedlichsten Bereichen skizziert und diskutiert.

1. Health Literacy: Begriff, Konzept, Relevanz


Doris Schaeffer, Jürgen M. Pelikan

Was ist Health Literacy? Definition und Konzept

Health Literacy ist in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Raum zu einem bedeutsamen und vielbeachteten Thema geworden und hat eine rasante Themenkarriere durchlaufen. Auf vielen Tagungen ist Health Literacy präsent, es haben sich Kooperationen und Netzwerke gebildet und es sind erste Studien entstanden. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff?

Übersetzt wird er hierzulande meist als Gesundheitskompetenz, meint aber wörtlich gesundheitliche Literalität, was im Deutschen nicht sehr gebräuchlich ist. Der Begriff entstammt der anglo-amerikanischen Alphabetisierungsdiskussion, in der Literalität als Schriftsprachkompetenz definiert und als Voraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe verstanden wird. Inzwischen wird Literacy in der anglo-amerikanischen Diskussion jedoch als Metapher für zahlreiche, ganz unterschiedlich gelagerte Kompetenzen verwendet, wie allein Begriffe wie „food literacy“, „physical literacy“, „financial literacy“, „computer literacy“ etc. zeigen – so u.a. auch für im Alltag benötigte Fähigkeiten für gesundheitsrelevante Entscheidungen und Handlungen.

Health Literacy ist jedoch mehr als eine Metapher, wie allein die lange, bis heute anhaltende definitorische Diskussion zeigt. Zu Beginn war das Konzept lange Zeit durch ein ausschließlich funktionales Verständnis geprägt. Danach wurden unter Health Literacy vornehmlich die erforderlichen Lese- und Schreibfähigkeiten verstanden, um die an die Patientenrolle gestellten Anforderungen bei der Behandlung und Therapie zu erfüllen und sich im Gesundheitswesen bewegen zu können (Parker, 2000). Viele der frühen Definitionen sind dabei eng an Krankheit bzw. Krankheitsbewältigung orientiert (Pelikan, 2015; Pelikan& Ganahl, in diesem Buch; Schaeffer, in diesem Buch). Durch die viel zitierte frühe Definition der World Health Organization (WHO, 1998) erfolgte eine Erweiterung. Sie definierte Health Literacy in ihrem „Health Promotion Glossary“ folgendermaßen:

Health Literacy represents the cognitive and social skills that determine the motivation and ability of individuals to gain access to, understand and use information in ways which promote and maintain good health. Health Literacy means more than being able to read pamphlets and successfully make appointment. By improving people’s access to health information, and their capacity to use it effectively, health literacy is critical to empowerment. (WHO, 1998, p. 357)

Nach dieser an Gesundheitsförderung und Public Health orientierten Definition ist Health Literacy ein Bestandteil von Empowerment und umfasst die kognitiven und sozialen Fähigkeiten, die Individuen benötigen, um Informationen zu erschließen, zu verstehen und diese effektiv zur Gesundheitserhaltung zu nutzen. Health Literacy umfasst hier also weitaus mehr als funktionale Fähigkeiten und zielt generell auf den kompetenten Umgang mit gesundheitsrelevanter Information. Health Literacy wird hier zudem als Voraussetzung zur Gesundheitserhaltung bezeichnet und damit an die Diskussion über Gesundheit und Gesundheitsförderung1 angeschlossen. Diese Definition und auch die damit verbundene paradigmatische Wende von der Krankheits- zur Gesundheitsorientierung geht auf Don Nutbeam zurück, der drei Typen von Gesundheitskompetenz unterscheidet: funktionale, interaktive und kritische Gesundheitskompetenz (Nutbeam, 1998, 2000, 2008). Es gibt viele weitere Definitionen, denn besonders im anglo-amerikanischen Sprachraum wurde ein lebendiger Begriffs- und Konzeptdiskurs geführt (dazu ex. Berkman, Davis,& McCormack, 2010).

In Europa ist die aktuelle Debatte stark durch die noch weiter gefasste, im Rahmen des Europäischen Health Literacy Survey (HLS-EU) entwickelte umfassende Definition geprägt. Sie bestimmt auch die im deutsch-sprachigen Raum geführte Auseinandersetzung und ebenso die Forschung:

Health Literacy basiert auf allgemeiner Literacy und umfasst das Wissen, die Motivation und die Kompetenzen von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden um im Alltag in den Domänen der Krankheitsbewältigung, der Krankheitsprävention und der Gesundheitsförderung, Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu können, die ihre Lebensqualität während des gesamten Lebensverlaufs erhalten oder verbessern. (Sørensen et al., 2012, p. 3)2

Health Literacy wird hier als Voraussetzung und Grundlage für einen kompetenten Umgang mit Gesundheitsinformationen definiert, die ihrerseits erforderlich sind, um gesundheitliche Herausforderungen im Alltag bewältigen und die dazu nötigen Beurteilungen und Entscheidungen treffen zu können. Wie in der WHO-Definition wird auch hier der Umgang mit gesundheitsrelevanter Information in den Mittelpunkt gestellt und betont, dass Health Literacy nicht nur im Bereich der Krankheitsbewältigung eine wichtige Determinante darstellt, sondern in allen Lebensbereichen (so auch in der Prävention und Gesundheitsförderung), und Health Literacy überdies als essenzielle Voraussetzung informierter Entscheidungsfindung und Partizipation anzusehen ist und dem Erhalt der Lebensqualität dient.

Beide Definitionen zeigen eindrucksvoll, dass Health Literacy inzwischen breiter verstanden wird und lassen auch das Bemühen erkennen, das ursprünglich aus den Erziehungswissenschaften stammende Konzept an die gesundheits- und sozialwissenschaftliche Diskussion über die gesundheitlichen Herausforderungen in modernen Gesellschaften anzuschließen (etwa über Gesundheitsförderung, gesundheitliche und soziale Ungleichheit, soziale Determinanten der Gesundheit, Gesundheitsverhalten, Empowerment, Partizipation etc.).

In diese Richtung weist auch eine weitere Diskussion, in der unterstrichen wird, dass Health Literacy – mittlerweile im deutschspr

Health Literacy1
Inhaltsverzeichnis7
Geleitwort9
Konzeptionelle Perspektiven auf Health Literacy11
1. Health Literacy: Begriff, Konzept, Relevanz13
2. Health Literacy Developments, Corrections, and Emerging Themes21
3. Health Literacy im Kindes- und Jugendalter – eine explorierende Perspektive35
4. Chronische Krankheit und Health Literacy55
5. Optimising Health Literacy, Equity and Access (Ophelia)73
6. The Future of Health Literacy81
7. Die europäische Gesundheitskompetenz-Studie: Konzept, Instrument und ausgewählte Ergebnisse95
Empirische Befunde zur Erfassung von Health Literacyin der Bevölkerung und einzelnen Bevölkerungsgruppen129
8. Health Literacy in Deutschland131
9. Gesundheitskompetenz von gesetzlich Krankenversicherten – Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativumfrage unter GKV-Versicherten147
10. Health Literacy und Gesundheitsverhalten vulnerabler Bevölkerungsgruppen159
11. Gesundheitskompetenz von 15-Jährigen Jugendlichen in Österreich – im Vergleich zur Gesamtbevölkerung177
12. Health Literacy und Prävention bei älteren Menschen mit Migrationshintergrund191
13. Was determiniert Gesundheitskompetenz bei Menschen mit Migrationshintergrund aus der Tu?rkei und Ex-Jugoslawien?207
14. Gesundheitskompetenz und Gesundheitsbewusstsein: Überlegungen zur Konzeption von Gesundheitskompetenz unter Einbezug empirischer Daten aus der GEDA-Studie223
Interventionserfordernisse und Ansätze zur Erhöhung von Health Literacy237
15. „Teach more, do less“ – Förderung von Health Literacy als Aufgabe der Pflege239
16. Medication Literacy – Gesundheitskompetenz, chronische Krankheit und Selbstmanagement bei Medikamenten261
17. Erfahrungen aus der Praxis der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland279
18. Erhöhung der Gesundheitskompetenz durch interaktive Formen der Gesundheitsbildung – Konzept und Erfahrungen der Patientenuniversität an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH)291
19. Health-literate Hospitals and Healthcare Organizations – Results from an Austrian Feasibility Study on the Selfassessment of organizational Health Literacy in Hospitals305
20. Health Literacy – ku?nftige Herausforderungen317
Autorenverzeichnis323
Abku?rzungsverzeichnis327
Sachwortverzeichnis331