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Stefano Ferraro streifte seine Autofahrerhandschuhe aus weichem Leder über und sah sich mit seinen dunkelblauen Augen gründlich im Viertel um.Sein Viertel. Seine Familie wusste über alles Bescheid, was hier vor sich ging. Es war eine gute Wohngegend, die Menschen hier waren loyal und bildeten eine enge Gemeinschaft. Sie waren hier sicher, weil seine Familie für diese Sicherheit sorgte. Frauen konnten abends allein auf die Straße gehen, und Kinder konnten draußen spielen, ohne dass sich ihre Eltern Sorgen machen mussten.
Stefano kannte hier jeden Ladenbesitzer und jeden Anwohner persönlich mit Namen. Das Territorium der Familie Ferraro begann gleich hinter der Grenze von Little Italy. Auch Little Italy kannte er wie seine Westentasche, und alle Menschen, die dort wohnten und arbeiteten, kannten ihn und seine Familie. Am Rand des Ferraro-Gebiets hörten sämtliche Straftaten auf. Selbst die hartgesottensten Verbrecher kannten diese unsichtbare Grenze, und keiner wagte es, sie zu übertreten, denn die Vergeltung folgte stets schnell und brutal.
Er sah auf die Uhr; er hatte nicht mehr viel Zeit. Der Jet war aufgetankt und wartete auf ihn. Er musste in seinen Wagen steigen und verdammt fix am Flughafen sein, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Was es auch war, es war beunruhigend. Ein starker Drang hierzubleiben. Jeder Ferraro wusste, dass eine solche Vorahnung Ärger bedeutete. Vorsichtig und sehr leise schloss er die Tür zu seinem Maserati, ging um die Motorhaube herum und trat auf den Gehweg.
Diese Art von Vorahnung betraf immer seine Arbeit, und den Geschäften der Ferraros durfte nichts in die Quere kommen. Absolut nichts. In der Freizeit konnte er schon mal wilde Partys feiern, aber seine Arbeit war wichtig und gefährlich, und sobald es ums Geschäft ging, war er mit Haut und Haaren dabei. Er musste seinen Hintern in Bewegung setzen und zum Flughafen fahren, doch trotz seiner jahrelangen Disziplin konnte er sich nicht dazu überwinden. Der innere Drang war so stark, dass ihm keine andere Wahl blieb, als ihm nachzugeben.
Über die üblichen Straßengeräusche hinweg drang eine Stimme an sein Ohr. Flüchtig. Geheimnisvoll. Melodisch. Als er den Kopf wandte, bogen am Rande seines Territoriums zwei Frauen um die Ecke und liefen in seine Richtung. Joanna Masci erkannte er sofort. Ihr Onkel, Pietro Masci, wohnte schon seit vielen Jahren im Ferraro-Gebiet, er war hier geboren und aufgewachsen. Ihm gehörte der Feinkostladen im Viertel, bei dem viele der Einheimischen ihr Obst, Gemüse und Fleisch kauften. Ein guter Mann. Jeder mochte und respektierte Pietro, der Joanna nach dem Tod seines Bruders bei sich aufgenommen hatte.
Doch es war nicht Joanna, die sein Interesse weckte. Die Frau neben ihr war für dieses Wetter völlig unangemessen gekleidet. Ohne Mantel, ohne Pullover. Die Jeans, die sich reizend an ihre Figur schmiegte, war zerrissen. Aber was für eine Figur! Sie war nicht so dünn, wie es die meisten Mädchen bevorzugten, sondern hatte richtige Kurven. Ihre Haare waren wild und dicht und glänzend. Einen Teil davon trug sie zu einem dicken, komplizierten Zopf geflochten, aber der Rest fiel ihr in offenen Wellen auf den Rücken. Ein sattes, glänzendes Tiefschwarz. Ihre Augen konn