I
Wir saßen am Küchentisch, als die Polizei kam. Es war ein Dienstag, und wie jeden Dienstag gab es Fisch. Für gewöhnlich hielten wir es eher schlicht – ein Auflauf oder eine Packung Fischstäbchen –, doch an diesem Dienstag war mir spontan die Idee gekommen, mit den Jungs zum Fischereihafen hinunterzugehen und Makrelen zu kaufen. Zu Hause hatte ich den Fisch in reichlich Butter gebraten, hatte aber vergessen, den Dunstabzug einzuschalten, weshalb die Küche von diesem unangenehmen Qualm erfüllt war, der so schwer hinauszubekommen ist. Die Jungs wollten nicht essen. Sie waren unruhig und quengelten, weil sie lieber Eis wollten, doch als es klingelte, verstummten sie plötzlich und stürmten hintereinander die Treppe hinunter, beide in ihren Strumpfhosen, und kamen voller Erwartung wieder herauf.
»Für dich, Papa.«
»Wer ist es?«
»Keiner, den wir kennen.«
Widerwillig stand ich auf. Ich hatte mich auf einen Abend im Arbeitszimmer gefreut, und es genügte ohnehin die geringste Störung, dass meine Konzentration abriss. Am Abend davor hatte ich den Anfang einer Erzählung geschrieben – meiner ersten –, und vor Überraschung, wierichtig es sich anfühlte, war ich von einem so starken Schreibdrang übermannt worden, wie ich ihn seit meinen ersten literarischen Versuchen vor einigen Jahren nicht mehr empfunden hatte. Ich hatte auch schon Ideen zu anderen Erzählungen, und ich ahnte, dass dies der Keim für mein erstes Buch sein könnte.
Draußen auf den Steinfliesen, im Schutz vor dem Regen unter der neuen Veranda, standen ein Mann und eine Frau, die ich nie zuvor gesehen hatte, beide in modernen Allwetterjacken. Der Mann mochte um die sechzig sein. Die Frau war jünger, in meinem Alter, und hatte den Ohrhörer eines Headsets im Ohr. Hinter ihnen parkte ein dunkler Saab, auf dessen Motorhaube der Regen prasselte. So, wie er da stand, würde er den Nachbarn den Weg versperren, sollte einer von ihnen hinein- oder hinauswollen, dachte ich, sagte aber nichts.
»Sind Sie Martin Havn?«, fragte die Frau.
»Ja«, sagte ich. »Worum geht es?«
Beide zeigten mir eine Plastikkarte, auf der jeweils ein Foto sowie die Aufschrift POLIZEI zu sehen waren, und fragten, ob sie mir einige Fragen stellen dürften.
»Können wir kurz reinkommen?«, fragte die Frau.
Ich zögerte.
»Wir sitzen gerade beim Essen«, sagte ich. »Es gibt Fisch.«
Ich ärgerte mich über die unnötige Information.
»Wir können warten«, sagte die Frau. »So viel Zeit haben wir doch, Borgen?«
Der Mann sah auf die Uhr.
»Lassen Sie halt den Nachtisch aus«, sagte er.
Ich ließ sie herein. Sie zogen artig ihre Schuhe aus und folgten mir die Treppe hinauf. Sie nickten zu Gina und den Jungs in die Küche, bevor sie ins Wohnzimmer weitergingen. Gina winkte mich zu sich.
»Wer sind die?«, fragte sie.
»Sie sind von der Polizei«, sagte ich. »Sie haben irgendwelche Fragen.«
»Du meine Güte«, sagte sie. »Ist was passiert?«
»Ich weiß nicht.«
»Du müsstest ihnen fast etwas anbieten. Soll ich was bringen? Bier, vielleicht?«
»Bier?«, sagte ich, »für die Polizei?«
»Nein, nein, aber Kaffee?«
»Nicht nötig«, sagte ich. »Sie bleiben nicht lang.«
Ich schloss die Küchentür. Irgendwas aber war nach dem Umbau mit den neuen Türen geschehen; sie waren gewissermaßen in ihren Rahmen aufgequollen, und ich musste sie fest zuwerfen, damit sie richtig schlossen.
Die zwei Polizisten hatten sich an den Wohnzimmertisch gesetzt, auf dem die Zeichenutensilien der Jungs über die Wachstischdecke verstreut lagen. Buntstifte, mehr oder weniger fertige Zeichnungen, dazwischen kleine Häufchen mit den Abfällen vom Bleistiftspitzen. Sie hatten ihre Jacken über einen freien Stuhl gehängt, und ich konnte sehen, wie das Kabel des Headsets unter dem sportlichen Pullover der Frau verschwand.
»Sie können gern fertigessen«, sagte sie.
»Nein, nein«, sagte ich. »Ich wärme es nachher auf.«
»Makrelen?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich.
»Bitte, setzen Sie sich.«
Er deutete mit einem Finger auf den Platz gegenüber der Frau. Ich wählte stattdessen den Platz ihm gegenüber, wogegen er nichts einzuwenden hatte. Es verging einige Zeit, ohne dass jemand etwas sagte. Borgen begutachtete die Kinderzeichnungen, drehte ein paar von denen, die am ehesten fertig aussahen, herum, damit er sie richtig ansehen konnte.
»Ihre Jungs zeichnen also gern?«
»Hauptsächlich wenn es regnet«, sagte ich. »Sonst spielen sie meistens draußen.«
»Aber sie sind gut«, sagte er. »Finden Sie nicht?«
Er hielt eine Zeichnung vor mir in die Höhe und ich erkannte sofort Tors unsicheren Stil. Tor fand selten eigene Motive, zeichnete lieber die von Jonas nach. Ich empfand eine gewisse Erleichterung, dass sie diesmal nur eine Gruppe von Bäumen darstellte; was sie sonst zeichneten, war oft so blutig: Schwerter, Pistolen und abgehackte Körperteile. Oft fragte ich mich, woher sie das hatten. Wir waren streng bei der Auswahl der Fernsehprogramme.
»Doch, ja«, sagte ich. »Sie zeichnen ganz gut.«
Ich fügte scherzhaft hinzu, dies sei ein Talent, das sie nicht von mir hätten, sondern von ihrer Mutter.
»Von Gina?«, sagte die Frau.
»Von Gina, ja«, sagte ich.
Sie lächelte auf eine Weise, die ich unter anderen Umständen als flirtend aufgefasst hätte, band sich das Haar zu einem straffen Pferdeschwanz, wodurch der weiche Flaum vor ihren Ohren freigelegt wurde. Ein ungewöhnliches Wort tauchte in mir auf:delikat. Denn das war sie, delikat. Sie warf einige Blicke durchs Wohnzimmer, auf die noch immer fast nackten Wände, und fragte, ob wir eben erst eingezogen wären.
»Ja, jetzt im Sommer«, sagte ich.
Und wie immer, wenn jemand auf das Haus zu sprechen kam, konnte ich mich in meinem Stolz nicht zurückhalten und erklärte, dass es das Haus meiner Kindheit sei und wir ein ganzes Jahr gebraucht hätten, um es herzurichten und den Zubau fertigzustellen. Das Ergebnis würden sie selbst sehen, sagte ich. Darunter hätten wir eine Einliegerwohnung eingerichtet – ich deutete auf den Fußboden –, dort, wo später das Jugendzimmer der Jungs entstehen sollte.
»Und jetzt haben wir uns endlich fertig eingerichtet«, sagte ich und lächelte.
»Sie haben Glück«, sagte die Frau. »Zurzeit reißen sich alle um Einfamilienhäuser.«
Borgen kreiselte einen Finger neben seinem Kopf.
»Es ist Wahnsinn, wie teuer es geworden ist«, sagte er.
»Sie arbeiten auch hier zu Hause?«, fragte die Frau.
»Ja«, sagte ich. »Ich habe ein Arbeitszimmer.«
»Und Sie schreiben?«
Ich stutzte, denn das mit dem Schreiben war nicht offiziell. Ich hatte einige Jahre zuvor Texte in einer Zeitschrift veröffentlicht. Ob ihnen das zu Ohren gekommen war?
»Ich arbeite hauptsächlich als Übersetzer«, sagte ich.
»Machen so was heutzutage nicht Maschinen?«, fragte Borgen.
»Nicht alles«, sagte ich. »Und es muss ja auch kontrolliert werden.«
Er nahm einen Wachsmalstift vom Tisch und schrieb damit etwas unter Tors Zeichnung. Dann hielt er sie erneut vor mir hoch.
SELMA STRØM, 4 JAHRE
Er hatte es mit gekünstelten Kinderbuchstaben geschrieben. Ich fühlte, wie sich etwas in mir zusammenzog.
»Ist Ihnen der Name bekannt?«, fragte die Frau.
Ich runzelte besorgt die Augenbrauen.
»Selma ist doch hoffentlich nichts passiert?«, sagte ich.
»Bitte beantworten Sie die Frage«, sagte sie.
Ich antwortete, ich wisse sehr gut, wer Selma sei, dass sie die Tochter von Ginas Freundin Lillian sei und sie oft bei uns zu Besuch seien.
»Nicht sie bei ihnen?«, fragte sie.
»Doch, natürlich, das auch«, sagte ich. »Bevor wir umgezogen sind, waren wir Nachbarn, und wir treffen uns immer noch oft.«
»Wann haben Sie Selma das letzte Mal gesehen?«
»Warum fragen Sie? Ist sie verschwunden?«
»Antworten Sie einfach.«
»Am Samstag«, sagte ich. »Da waren wir zum Pizzaessen bei ihnen.«
»Stimmt es, dass Sie und Lillian Strøm früher ein Paar waren?«, fragte Borgen.
Ich blickte von der einen zum anderen. Genauso wie bei den wenigen anderen Anlässen, bei denen ich mit der Polizei zu tun gehabt hatte, hielt ich es für wichtig, mich so normal wie möglich zu verhalten. Gerade deshalb hatte alles, was...