Kapitel 2
Nicht jetzt.« Maya schob Daniels Hand sanft zur Seite. »Es kann jeden Moment klingeln.«
»Und wenn schon.« Daniel küsste Maya liebevoll in den Nacken. »Wir müssen ihm ja nicht aufmachen.«
Sie drehte sich zur Seite. »Bitte.« Unter dem Vorwand, nach ihrem Weinglas zu greifen, befreite sie sich aus Daniels Umarmung, stand augenzwinkernd auf und ging auf die offene Schiebetür zu. Sie warf einen langen Blick auf den eingedeckten Tisch im Esszimmer. Gläser, Teller, Besteck, die Kerzen, sogar die Damastservietten hatte Daniel aus den Schubladen hervorgeholt. Aus den Boxen erklang Robbie Williams, den Daniel für einen »Schmalzheini« hielt. Umso mehr wusste sie zu schätzen, dass er dessen neueste Songs heruntergeladen hatte. Für sie.
Maya wandte sich wieder Daniel zu, der sich in die Couch hatte zurückfallen lassen und seine Beine unter den Zeitungstisch ausstreckte.
»Wirklich, Danny, das hast du sehr schön gemacht.« Lachend prostete sie ihm zu.
»Zeit hatte ich ja wieder mal genug, heute«, brummte Daniel und erinnerte Maya daran, dass sie vorhin nur knapp an einem Krach vorbeigeschrammt waren.
»Ich dachte, du hättest deiner überarbeiteten Anwältin vergeben«, sagte sie mit dem aufgesetzten Blick einer reuigen Sünderin.
Daniel musste sich anstrengen, weiter beleidigt zu schauen. Er liebte Mayas Selbstbewusstsein, ihre Ironie, und er hatte großen Respekt vor ihr als Juristin. Aber dass sie sich auch an diesem Sonntag wieder nicht von ihren Akten hatte trennen können, hatte ihn mit jeder Stunde, die sie ihn hatte warten lassen, mehr und mehr verärgert.
Familienanwältin zu sein, hatte sie ihm einmal erklärt, sei nun mal ein Saisongeschäft. Nach Weihnachten und Neujahr herrsche Hochbetrieb. Dann zeigten die Dramen unter dem Tannenbaum ihre Wirkung.
Maya war dankbar für diese Stunden an den Wochenenden, in denen sie, allein in der Kanzlei, ihre Akten abarbeiten konnte. Über ihren Fällen zu sitzen, sich reinzuknien, dieses Suchen nach Widersprüchen und Lücken, dieses Kombinieren von Fakten und Paragrafen, verschaffte ihr eine große Zufriedenheit. Doch im Gegensatz zu nicht wenigen Kollegen ging es Maya auch immer um die Menschen, die ihren Rat suchten, die sie brauchten. Wirklich helfen zu können machte sie glücklich.
»Meine kleine Samariterin«, verspottete Daniel sie mitunter, wenn er wieder glaubte, ihr sei ein Fall wichtiger als er. Wenn er sich besonders vernachlässigt fühlte oder schlecht gelaunt war, weil er sich im Sender geärgert hatte, warf er ihr allerdings auch zu großen Ehrgeiz vor, über den sie Zeit und Raum vergessen konnte – und auch ihn.
Erst seineSMS »Wein ist gleich verdunstet«, ohne Kuss, ohne Gruß, hatte sie am heutigen Abend aus der Akte gerissen, die sie die letzten Stunden beschäftigt hatte. Typen wie dieser Wulf, um den es darin ging, waren genau der Grund, warum Maya sich auf Familienrecht spezialisiert hatte und mit Strafrecht möglichst wenig zu tun haben wollte. Aber Wulf war eine Erblast aus der Anwaltszeit ihres Vaters – und deshalb nahm sie dessen Fall besonders ernst. Sie wollte ihrem alten Herrn zeigen, dass er ihr seine Kanzlei zu Recht übergeben hatte.
»Ich gehe schon«, sagte Daniel, als es klingelte. Er riss die Wohnungstür auf und schaute erwartungsvoll ins Treppenhaus. Barscher, als er es eigentlich wollte, rief er: »Na, das wurde aber auch Zeit.«
Ein junger Mann mit orangefarbenem Turban und brustlangem schwarzen Bart lief die Stufen hinauf und auf ihn zu. Strahlend hielt er Daniel zwei Pizzakartons unter die Nase, den einen mit links, den anderen mit rechts. Die Rechnung klemmte zwischen seinen Lippen.
»Wie heißt diese Zirkusnummer bei Ihnen in Indien?«, fragte Daniel. Als bereute er seinen spöttischen Ton, zog er zwei Zehneuroscheine aus der Tasche, sagte: »Stimmt so« und nahm dem Mann die Lieferung ab.
Der Pizza-Kurier sagte nur: »Namaste«, verbeugte sich tief und eilte die Treppe hinunter.
»Der hatte ja Unterhaltungswert«, meinte Maya, die Daniel aus dem Wohnzimmer gefolgt war, und schloss die Tür.
»Er hat jedenfalls mehr Trinkgeld bekommen, als ich sonst gebe«, sagte Daniel, während er sich in sichtlicher Vorfreude über seine Pizza beugte.
Maya schenkte Wein nach, und sie stießen an.
»Auf nachher«, sagte Daniel mit einem breiten Grinsen, als es erneut klingelte. Mit einem entnervten »Was ist denn?«, öffnete er die Tür. Drei Stufen unter ihm stand der Pizza-Inder, der offensichtlich kein Deutsch konnte, und gestikulierte wild in Richtung Parterre.
»You come, please, Mister.«
»You crazy?«, fragte Daniel.
Der Mann eilte die Treppe hinunter und kam wieder hoch.
»I think you have some very special visitor, Sir«, sagte er grinsend.
Daniel schaute zur Wohnungstür und rief: »Schatz, komm mal!« Dann sah er wieder in den Hausflur, atmete tief durch und bemühte sich um ein freundliches Gesicht.
»Wer ist denn da?«, wollte Maya wissen.
»Die Erleuchtung«, rief Daniel über die Schulter zurück.
Maya drängte sich neben ihn ins Treppenhaus, sah Orange, sah Schwarz, sah Weiß, sah den Ehrwürdig