»Dämliches Datenschutzgequatsche«, sagte Kriminaldirektor Winterfeld, während sie die Treppe hinunterliefen. Draußen vor dem Hauptquartier desLKA1 in der Keithstraße zündete er sich einen Zigarillo an und paffte in die dämmerige Herbstluft. Clara Vidalis, Hauptkommissarin amLKA113 und Expertin für Forensik und Pathopsychologie, folgte ihm. Hermann ebenfalls. DasLKA1 war zuständig für Delikte am Menschen. Ebenso Kinder- und Jugendpornografie. Zweihundertsechzig Beamte, die nichts anderes machten, als den schlimmsten Abschaum der Gesellschaft zu jagen. Und die, wenn selbst sie nicht mehr weiterwussten, die Mordkommission113 anriefen. Die Mordkommission113, die am Tempelhofer Damm saß. Winterfelds Truppe, zu der auch Clara gehörte und die eng mit demLKA1 zusammenarbeitete.
Joost Boonstra kam ihnen schnaufend hinterher. Boonstra, mit rotblonden Haaren und einem, trotz seiner fünfundfünfzig Jahre, jungenhaften Gesicht, war auf Dauerdiät und deshalb bei dauerhaft schlechter Laune. Morgens nahm er nur sein sogenanntes »Singlefrühstück« zu sich, schwarzer Kaffee und Zigarette. Dünner wurde er dadurch trotzdem nicht, vielleicht weil gerade das Frühstück die Mahlzeit war, an der man am wenigsten sparen sollte, selbst wenn man das Ziel hatte, Gewicht zu verlieren. Er zupfte sich das Hemd zurecht, das sich über seinen Bauch spannte, und zündete sich eine Zigarette an.
»Probier mal die Marine-Diät«, hatte Winterfeld ihm vorhin gesagt und auf seinen Bauch geklopft. Boonstra hatte ihn irritiert angeschaut. »Einfach die nächste Uniform eine Nummer größer bestellen.« Boonstra hatte das nicht witzig gefunden.
»Sie sind mal wieder am Nichtrauchen?«, fragte Winterfeld und wandte sich an Clara.
Clara nickte. »Im Moment ja. Irgendwas muss ich auch mal richtig machen.«
»Dir gefällt der Datenschutz nicht?«, fragte Boonstra und deutete einen Ellbogenschlag in Winterfelds Seite an. Boonstra war Holländer und arbeitete eigentlich bei Europol in Den Haag, hatte aber für dasLKA einige Computerschulungen übernommen, so wie diese Datenschutzschulung, die heute in der Keithstraße stattfand. Auch in Sachen Cyberspionage war er ein Crack.
Die Flitterwochen mit seiner Frau Femke waren dafür schon seit geraumer Zeit vorbei, sodass es ihm nichts ausmachte, wenn er lange arbeitete. Was ein Teufelskreis war. Denn weil er so viel arbeitete, hatte seine Frau sich eine Therapeutin gesucht, die ihr als Erstes gesagt hatte, dass sie mehr auf sich achten müsse. Femke hatte nach dem Studium ihren Job aufgegeben, um sich um die zwei gemeinsamen Kinder kümmern zu können. Die Therapeutin hatte ihr gesagt, dass sie ihren Mann zwingen müsse, sie stärker wahrzunehmen. Ihn dazu bringen müsse, endlich wahrzunehmen, was für Lücken durch seine viele Arbeit in ihrem Leben entstanden. Das Beste wäre, so die Therapeutin, wenn Joost noch einmal richtig um sie werben würde. So als würde er sich noch einmal in sie verlieben. Boonstra hatte das verstanden, aber mit dem Verlieben wollte es nicht so recht klappen.
Ich möchte gesehen werden. Wahrgenommen werden, hatte sie Boonstra und all ihren Freundinnen gesagt.Mach dir mal keine Gedanken, hatte Boonstra geantwortet,dich übersieht schon keiner. Denn sie hatte ähnlich an Gewicht gewonnen wie Boonstra und war auch noch zickig und drachenartig geworden. Dass Boonstras Konter die Ehe nicht gerade gerettet hatte, verstand sich von selbst. Derzeit lebte er in Trennung auf Prob