: Annabel Abbs
: Die Tänzerin von Paris Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841213143
: Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe
: 2
: CHF 8.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 512
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Tanz war meine Antwort - auf alles, was das Leben mir abverlangte... Paris, 1928: Lucia ist jung, begabt und wird in der Bohème als Tänzerin gefeiert. Aber ihr Vater ist der große James Joyce, und so modern seine Werke auch sein mögen, so argwöhnisch beobachtet er das Streben seiner Tochter nach einem selbstbestimmten Leben. Dann begegnet Lucia dem Schriftsteller Samuel Beckett, der ihre große Liebe wird. Doch ihre Hoffnungen, sich aus dem Schatten des übermächtigen Vaters zu befreien und ihren eigenen Weg gehen zu können, drohen schon bald zu scheitern. Das tragische Schicksal einer jungen Frau auf der Suche nach Freiheit und Liebe - nach der wahren Geschichte von Lucia Joyce. »Das starke Portrait einer jungen Frau, die sich danach sehnt, als Künstlerin zu leben, und deren Lust am Leben einem entgegenleuchtet.« The Guardian.

Annabel Abbs studierte Englische Literatur und leitete eine große Marketing Consulting Agency, bevor sie zu schreiben begann. Ihre Kurzgeschichten wurden hochgelobt, und ihr Debütroman 'Die Tänzerin von Paris' wurde mehrfach ausgezeichnet. Mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt Annabel Abbs in London und Sussex.

Prolog


September 1934, Küsnacht, Zürich

Ich stehe an Deck und schaue auf die Säume aus weißem Schaum, die wir hinter uns herziehen. Zürich weicht am Horizont zurück, und ich warte darauf, dass vor mir Küsnacht erscheint. An den Ufern schütteln die Bäume ihre gekräuselten Blätter ab. Es liegt ein kaltes Schaudern in der Luft, und über den See treibt ein zarter Hauch von Zerfall.

Seit drei Wochen gehe ich zu ihm nach Küsnacht in sein quadratisches Haus mit den Fensterläden. Dreimal in der Woche komme ich mit dem Schiff her und sitze bei ihm. Und immer noch habe ich nicht geredet. Aber heute rührt sich etwas in mir, erwacht etwas, und mein Schweigen bedrückt mich.

Der See leuchtet in der Herbstsonne. Neben der Fähre drehen und wenden sich winzige Fische, ihre glitzernden Schuppen blitzen wie gefallene Sterne. Während ich sie beobachte, spüre ich etwas durch meine Fußsohlen hinaufziehen, meine Waden hinauf. Über das Rückgrat. Meine Hüften wiegen sich, meine Finger beginnen, einen Rhythmus auf die Reling zu tappen. Als wolle mein abgestumpfter Körper wieder etwas Schönes sein.

Heute werde ich reden. Ich werde seine lästigen Fragen beantworten. Und ich werde ihm sagen, dass ich wieder tanzen muss. Ja, ich muss wieder tanzen …

*

Doktor Jung legt seine Fingerspitzen vor dem Mund aneinander, so dass sie seinen säuberlich gestutzten Schnurrbart berühren. »Sie haben ein Schlafzimmer mit Ihrem Vater geteilt, bis Sie achtzehn Jahre alt waren. Wie haben Sie sich umgezogen?« Seine Augen sind wie kleine Lichtkegel, die nie von meinem Gesicht weichen.

»Ich habe in den Kleidern geschlafen.« Ich rutsche unbehaglich hin und her, weiß, welche Fragen als Nächstes kommen werden. Und ich habe sie satt. Gründlich satt.

»Warum haben Sie sich nicht ausgezogen?« Seine Worte hängen in der Luft, während ich mir meinen Nerzmantel enger um die Rippen ziehe. Das übereifrige kleine Hausmädchen hat versucht, ihn mir an der Tür abzunehmen. Hat mir immer wieder gesagt, wie warm es im Zimmer des Doktors sei, dass sie selbst das Feuer angezündet habe.

»Ratten ziehen sich doch für die Nacht nicht um, oder?«

»Ratten?« Doktor Jung schiebt seinen Drehstuhl nach hinten und beginnt im Zimmer auf und ab zu gehen. »Ich freue mich, dass Sie sich endlich zum Reden entschlossen haben, aber Sie müssen sich genauer erklären, Miss Joyce.«

»Wir haben an Hunderten von Orten gelebt … in Zimmern … Wohnungen. Italien, Schweiz, Paris.« Schon jetzt merke ich, wie mein Mund steif wird, als hätte er genug von all dem Reden, genug von den endlosen Fragen des Doktors. Ich fahre mir rasch mit der Zunge über die Oberlippe, ermuntere mich weiterzumachen. »Wir sind an den Square de Robiac in Paris gezogen, als uns reiche Leute Geld gegeben haben – die Mäzene m