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Der Mann wirkte entschlossen und unnahbar, fast ein wenig finster. Der Blick seiner grauen Augen richtete sich in die Ferne – abwesend und aggressiv zugleich. Er trug das Haar raspelkurz, das Kinn war kräftig wie seine gesamte Statur. Sein Alter war schwer zu schätzen.
»Christoph Klausen ist fünfzig und hat bis vor kurzem zehn Jahre wegen Totschlags gesessen«, führte Johanna mit Blick in die Runde aus und griff nach ihrer Kaffeetasse. »Die Aufnahmen sind relativ aktuell«, erläuterte sie weiter und ließ eine Reihe Fotos über den Wandmonitor laufen.
Es war früh am Morgen, der Nebel hatte sich nur zögerlich aufgelöst, als Emma von Wismar zur Besprechung in die Detektei nach Rostock gefahren war. Wenn sie Johanna am Telefon richtig verstanden hatte, gab es einen neuen BKA-Auftrag. Und warum guckst du so brummig, Kollegin, dachte Emma und gönnte sich ein kleines Lächeln. Das sind doch ausgesprochen gute Nachrichten.
Als ehemalige LKA-Beamtin hatte Emma sich vor einigen Monaten dazu überreden lassen, unter neuer Identität als Wismarer Privatermittlerin zu arbeiten, gemeinsam mit BKA-Kommissarin Johanna Krass und mit Unterstützung einer Rostocker Detektei, die von Florian Kirch und Jens Bormer geführt wurde. Als es darum ging, Jagd auf den Menschenhändler Bruno Teith und seine Organisation zu machen, hätte sie kaum zu träumen gewagt, dass die Zusammenarbeit tatsächlich gelingen würde. Bevor sie in jenem Einsatz mit Teith zu tun hatte, hatte sie sich zwei Jahre vor dem Mann versteckt, der sie in ihrer Vergangenheit eine Nacht lang in seiner Gewalt hatte und dem es beinahe gelungen war, sie zu zerstören.
Sie spürte, dass Florian sie vom anderen Ende des Tisches ansah und blickte auf, tauchte für einen Moment in die Tiefe seiner dunklen und warm schimmernden Augen. Seine Lippen formten einen zarten Kuss und in seinem Mundwinkel zuckte ein Lächeln. Das ist wohl das eigentliche Wunder dieses Sommers, dachte Emma. Ich vertraue wieder einem Mann, auch wenn mich die alte Angst manchmal packt, im Traum überfällt oder unvermutet aus dem Nichts anspringt – diese Furcht wirkt jetzt fast klein und mickrig … Groß ist dagegen mein Begehren, meine Sehnsucht, meine Lust.
»Klausen stammt aus Schwerin, war Berufssoldat, zunächst bei der NVA und später bei der Bundeswehr, und wir sollen ihn im Auge behalten«, drang Johannas Stimme plötzlich wieder an Emmas Ohr.
»Was hat er denn angestellt?«, fragte Florian.
»Er ist in das Haus von Michael Krüger eingedrungen, einem bayerischen Fachhochschullehrer, seinerzeit einundsechzig Jahre alt, und wurde von dem Mann überrascht. Es kam zu einer Auseinandersetzung, bei der Klausen Krüger so schwer verletzte, dass er einige Zeit später starb. Klausen konnte zunächst entkommen, wurde jedoch ein p