Kapitel 2
Nichts geht mehr
Nun ist also eingetroffen, wovor ich immer so viel Respekt hatte. Ich erkenne mich nicht mehr wieder. Ich sitze in der Mama-Falle. Mein Sohn ist inzwischen 18 Monate, meine Tochter vier Jahre alt. Nach nun fast viereinhalb Jahren Windeln wechseln, 850 Mal Spülmaschine ein- und ausräumen, 1460 Nächten ohne durchzuschlafen, in der Summe, bei zwei Kindern, 15 Monaten stillen, zwanzig Monaten Schwangerschaft, über dreitausendmal Frühstück, Mittagessen oder Abendessen zubereiten und weit über 1.500 Abenden, die ich in den vergangenen viereinhalb Jahren zu Hause festsaß, bin ich unausgeglichen, über Monate niedergeschlagen, ohne Energie und Lebensfreude in mir.
Ich agiere rund um die Uhr als Mama und habe meine eigenen Bedürfnisse komplett aus den Augen verloren. Ich spüre mich nicht mehr. Ich fühle mich in meiner Rolle als Vollzeitmama lediglich als »Aufpasserin« und als »Putzfrau« ohne Selbstbewusstsein, bin gegenüber meinen Kindern und meinem Ehemann nur noch gereizt und kann mich selbst nicht mehr leiden.
Das kann der liebe Gott mir doch unmöglich mit meiner Aufgabe als Mama auf den Weg gegeben haben. Ich weiß wirklich nicht, wohin Gott mich führen möchte. Ich bin dafür auch nicht gläubig genug, aber wenn er weiterhin diese Richtung beibehält, dann schlage ich vor, er soll allein weitergehen.
In ihrem BuchMuscheln in meiner Hand stellt sich die Autorin Anne Morrow Lindbergh folgende Frage: »Wenn es die Aufgabe der Frau ist zu geben, so muss sie auch wiederbekommen. Aber wie?« Ihre Lösung scheint denkbar einfach: »Alleinsein«. Jeder Mensch, besonders jede Frau, sollte einmal im Jahr, einmal in der Woche, einmal am Tag allein sein.
Doch für mich – und wahrscheinlich auch für viele Frauen – scheint ein solches Vorhaben völlig unerreichbar. Es ist keine Kraft mehr vorhanden, nach Haushalt und Kindern auch nur eine Stunde Alleinsein sinnvoll zu nutzen. Dabei ist es doch Irrsinn. Jeder Arbeitnehmer erwartet einen freien Tag in der Woche und jährlichen Urlaub. Eigentlich sind wir Mütter und Hausfrauen die einzigen arbeitenden Menschen, die keine geregelte Freizeit haben.
Dann kommt der Zusammenbruch. Nervenzusammenbruch lautet die genaue Diagnose. Im Auto, vor meinen zwei Kindern, einfach so, nichts geht mehr. Ich will meine Tochter bei einem Freund abholen. Der Kleine ist natürlich dabei, weil mein Mann sich im Rahmen der Fußball-EM für drei Wochen in Polen aufhält. Ich schaffe es gerade noch, meine Tochter ins Auto zu verfrachten. Aber dann: Herzrasen, Tunnelblick, Verzweiflung. Mein Kopf sendet nur noch:Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr. Mein Körper, mein Geist und auch meine Seele sind komplett aus der Balance.
Ein Freund ist Neurologe. Ich rufe ihn mit letzter Kraft an, und er schickt sofort ein Rezept für Tavor in unsere Apotheke. Tavor ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Benzodiazepine. Es wird als Beruhigungsmittel bei Angst- und Panikstörungen eingesetzt. Es ist eines der meistverordneten Psychopharmaka in Deutschland. Bei längerer Einnahme kann es abhängig machen. Ich schlucke es, um irgendwie wieder Luft zu bekommen.
Wie in Trance liege ich nun im Bett. Eine Nachbarin hat die Kinder übernommen, bis meine Mutter kommt, die bereits unterwegs ist. Das Mittel b