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Sorrent aus Shalin:
Das Spiel mit dem Feuer
»Du treibst ein gefährliches Spiel.« Sorrent sah auf und erblickte die schlanke, hochgewachsene Gestalt seines besten Freundes Larid. Sie waren beide noch jung, doch Sorrent wirkte wesentlich älter. Sein Amt und die Ausbildung, die er schon von früher Jugend an genossen hatte, um es auszufüllen, ließen ihn älter erscheinen, als er tatsächlich war. »Wie meinst du das?« Der junge Mann ließ sich neben Sorrent auf dem Felsen nieder.
»So!«, erwiderte er nur und deutete mit dem Finger in die weite Ebene hinab, die unter dem Hochplateau lag und bis zum fernen Meer reichte, das am Horizont mehr zu erahnen, als wirklich zu erkennen war.
Minutenlang saßen sie schweigend nebeneinander. Schließlich meinte Larid: »Deine Gedanken sind bei Regan, dieser Stadt am Ufer des Meeres.«
Sorrent nickte. »Ja, das ist richtig. Doch verstehe ich nicht, was daran gefährlich sein soll?«
Larid lachte bitter auf. »Es ist sogar mehr als nur gefährlich. Du spielst mit dem Feuer und könntest dich daran verbrennen.« Er legte dem Freund die Hand auf die Schulter. »Ein Teil von dir will dorthin, das weiß ich. Es gibt für dich aber keinen Grund, Shalin zu verlassen.«
»Ich weiß«, erwiderte Sorrent lächelnd, »jedoch gibt es tausend und mehr Gründe, um nach Regan zu gehen.« Er sah Larid von der Seite an. »Shalin ist meine Heimat und wird es immer bleiben. Hier fühle ich mich geborgen, hierher gehöre ich. Mein Herz, meine Seele, all das wird Shalin nie vergessen, ganz gleich, wohin ich auch gehe!«
»Ist es denn deine Absicht, irgendwohin zu gehen?«
»Was denkst du?«, fragte Sorrent.
»Ich wünschte, ich wüsste es. Als Oberster Bewahrer hast du schon so viele Dinge getan, die andere vor den Kopf gestoßen haben. Du hast viele der Alten Gesetze verändert oder ganz abgeschafft. Wirst du vor dem Obersten Gesetz haltmachen?«
»Die Alten Gesetze sind genau das, was ihr Name schon sagt: alte Gesetze! Sie waren notwendig, manche sind es heute noch. Doch es gibt auch welche, die überholt sind. Und diese gilt es, abzuschaffen.« Der Oberste Bewahrer nickte. »Ja, das Oberste Gesetz ist ein solches, es gehört abgeschafft. Zum Wohle von uns allen, zum Wohle Shalins!«
»Andere sehen das nicht so.«
Sorrent nickte erneut. »Sie verstehen es nicht. Sie denken in festgefahrenen, uralten Bahnen. Und das ist für Shalin womöglich gefährlicher als all meine Gedanken und Träume; weit gefährlicher als alle Veränderungen, die ich durchgesetzt habe und möglicherweise noch durchsetzen werde!«
»Auch ich verstehe es nicht, mein Freund. Erkläre es mir!«, forderte Larid.
Der Oberste Bewahrer dachte einige Augenblicke nach, ehe er antwortete: »Als die Alten Gesetze erlassen wurden, hatten unsere Vorväter gerade einen Krieg erlebt, der sie an den Rand des Abgrunds gebracht hatte. Sie mussten dafür sorgen, dass sie und wir, ihre Nachfahren, in Sicherheit leben konnten. Also taten sie alles, was sie für notwendig erachteten, damit diese Sicherheit gewahrt würde. Alles gipfelte schließlich im Obersten Gesetz, das uns für alle Zeiten verbot, Kontakt zu einer der niederen Städte aufzunehmen. Nur ferne Kontakte zu einer anderen Stadtburg wurden erlaubt.«
»Aber das ist richtig so!«
»Das war es, Larid, das war es!«
»Wenn man dich so reden hört, könnte man denken, dass dir nichts mehr etwas bedeutet, was unsere Vorväter erschaffen haben; dass Shalin dir nichts mehr bedeutet; dass du es verraten willst!«
Sorrent erhob sich. Einige Augenblicke lang blickte er schweigend in die Ebene hinab. »Es ist so«, begann er schließlich und sah Larid ernst an, »dass Shalin alles für mich bedeutet. Nie habe ich daran gedacht, es hinter mir zurückzulassen – oder es zu verraten, wie du es ausdrückst. Shalin gibt mir alles, was ich zum Leben brauche: Geborgenheit, Wärme, Freunde! So gesehen existiert wirklich kein Grund, meine Heimatstadt zu verlassen. Doch Shalin ist nur ein Teil meines Lebens. Zugegebenermaßen ein sehr großer und sehr wichtiger Teil, aber eben nur ein Teil. Dort jedoch« – er zeigte in die Ebene hinunter – »ist ein anderer Teil! Regan existiert. Und solange diese Stadt existiert, will ich sie kennenlernen. Die Menschen dort denken anders, handeln anders und fühlen anders als wir. Ich möchte nichts und ich werde nichts zurücklassen, verges