1. Kapitel
Nordholm, 15. November 1982
Der Schrei einer Frau gellte klar und deutlich durch die Nacht. Wahrscheinlich bringt es mein Beruf mit sich, dass ich etwas weniger feige bin als der Durchschnitt der Menschheit. Daher schlug ich die Richtung ein, aus der der Schrei erklungen war.
Die Dünen versperrten mir den Blick auf das hinter ihnen stattfindende Geschehen. Meine bloßen Füße versanken im Sand, als ich den ersten Hügel erklomm.
Von der anderen Seite kam mir die Frau entgegengelaufen. Ihre halblangen, roten Haare flatterten wie eine Fahne hinter ihr her.
»Hierher!«, rief ich, damit sie gleich erkennen konnte, dass ihr von mir keine Gefahr drohte. »Haben Sie keine Angst!«
Sie schaute sich um, aber es war niemand zu sehen. Das Mondlicht verlieh dem Strand eine fahle Farbe. Wenn wirklich jemand hinter der Frau her war, so versteckte er sich hinter einer der Dünen. Andernfalls hätte er zu sehen sein müssen.
Die Frau blieb schwer atmend stehen. Noch war sie nicht von meiner Harmlosigkeit überzeugt und ließ einen Abstand von einigen Metern zwischen uns.
»Haben Sie geschrien?«, fragte ich.
Sie nickte. Aber offensichtlich war sie noch zu aufgeregt, um zu sprechen.
»Hat man Sie bedroht?«, bohrte ich nach.
Abermals nickte sie. Ihre Windjacke war zerrissen, und sie hielt eine Hand an ihren linken Unterarm gepresst. Nun erst bemerkte ich, dass zwischen ihren Fingern Blut hervorrann.
»Sie sind ja verletzt!«, entfuhr es mir, und unwillkürlich ging ich die letzten Schritte auf sie zu. Sie machte keine Anstalten zu fliehen.
Im Gegenteil, kaum hatte ich sie erreicht, fiel sie mir in die Arme, die ich gerade noch rechtzeitig ausbreiten konnte. Offensichtlich war sie am Ende ihrer körperlichen und psychischen Kräfte.
Ich ließ sie vorsichtig in den Sand gleiten und untersuchte ihre Wunde