Eis und Schnee
von Catalina Corvo
nach einer Story von Susanne Wilhelm
1.
Fred Archer, London
Der nächtliche Nebel verschlang selbst das farbenfrohe Leuchten der Strahler des London Eye. Anhaltender Regen hatte die ansonsten ansehnliche Uferpromenade in eine bizarre Seenlandschaft aus grauen Pfützen verwandelt. Das harte, gelbe Neonlicht der Straßenlampen geisterte auf den nassen Pflastersteinen, erreichte aber kaum die Anlegestellen, wo Boote und Jachten wie zusammengekauertes Vieh vor sich hindümpelten. Ihre Schemen hoben sich schwach gegen die dunkle Tiefe des Wassers ab.
Selbst der niemals endende Verkehrslärm von der Westminster Bridge drang nur als verzerrtes Echo zum Ufer vor. Die nächtlichen Gassen des vornehmen Alt-London verschluckten ihn, als gehörten die Zeugnisse der Moderne nicht in ihren mitternächtlichen Traum.
Lediglich die hastigen Schritte eines einzelnen Mannes hallten von den Fassaden der schmucken Gründerzeitbauten wider. Immer wieder warf der Eilige nervöse Blicke über die Schulter. Die rechte Hand umklammerte einen Gegenstand in der Manteltasche.
Erst als er sich gründlich vergewissert hatte, dass ihm niemand folgte, hielt Fred Archer inne, um Luft zu holen. Sein eigenes Keuchen klang überlaut in seinen Ohren. Er suchte Halt am gusseisernen Ufergeländer und rang nach Luft. Dabei spähte er in die Gasse hinter sich, doch bereits nach der nächsten Straßenlaterne versank die Welt in undurchdringlichem Grau.
Dumpf brummte auf der Themse ein vereinzeltes Motorboot vorbei. Aus einem Pub auf der anderen Seite des Stroms drangen Stimmengewirr und Gelächter.
Er spähte dennoch in alle Richtungen, lauschte auf das leiseste Geräusch. Es mochte sich still verhalten, aber es war noch da. Das »Ding«, wie er es in Gedanken nannte. Es war seit drei Tagen immer da.
Es lauerte am Rande seiner Wahrnehmung und verkroch sich im Schatten. Es ließ ihn nie zur Ruhe kommen. Wie ein durchdringender Blick aus unsichtbaren Augen. Wie Fingernägel, die leise über eine Tafel rieben, oder der heiße Atem eines Verfolgers im Nacken.
Seit es aufgetaucht war, fand Fred keinen Schlaf mehr. Eine Unruhe hatte ihn erfasst, die ihn auf den Beinen hielt und durch das graue verregnete London trieb. Von Hotelzimmer zu Hotelzimmer, durch Busse und Bahnen. Selbst mit dem Taxi hatte er seinen unsichtbaren Verfolger nicht abschütteln können.
Doch sein Ziel, den Schutz der Jugendstilvilla, erreichte er nie. Wie durch Zufall stieg er in die falsche Bahn, Taxifahrer fanden die Adresse nicht, zu Fuß hatte er