: Jan-Werner Müller, Gábor Halmai, Klaus Bachmann
: Transit 48. Europäische Revue Rückkehr der illiberalen Demokratie?
: Verlag Neue Kritik
: 9783801505790
: 1
: CHF 9.90
:
: Politikwissenschaft
: German
: 183
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Die Diagnose vom Aufstieg der ?illiberalen Demokratie? war Symptom einer allgemeinen philosophischen und politischen Katerstimmung nach 1989: In den berauschenden Tagen, als der Staatssozialismus implodierte und die Welt geradezu demokratietrunken wirkte, hatte es den Anschein, als würden sich Mehrheitsprinzip, Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Grundrechte stets harmonisch zusammenfügen. Schon bald jedoch brachten Wahlen Mehrheiten hervor, die alle ihnen zur Verfügung stehende Macht nutzten, um Minderheiten zu unterdrücken und Grundrechte zu verletzen.

Jan-Werner Müller

ILLIBERALE DEMOKRATIE?

 

 

 

 

Externe Beobachter, nicht zuletzt die EU-Kommission, schlagen Alarm ob einer autoritären Wende in Polen. Seit ihrem Wahlsieg im Oktober 2015 hat Jarosław Kaczyńskis Partei »Recht und Gerechtigkeit« (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) in erstaunlichem Tempo das Verfassungsgericht entmachtet; sie ist zudem gegen andere unabhängige Institutionen wie das Beamtentum vorgegangen, und sie hat ganz unverblümt versucht, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter staatliche Kontrolle zu bringen. Die polnische Regierung, die einen klaren demokratischen Auftrag für sich beansprucht, steht offenbar kurz davor, das zu verwirklichen, was Kritiker als »illiberale Demokratie« bezeichnen, ähnlich dem, was Viktor Orbán und seine Partei, der Fidesz, so scheint es, in den letzten sechs Jahren in Ungarn geschafft haben. Doch diese Bezeichnung ist höchst irreführend und untergräbt in Wirklichkeit alle Versuche, Parteien wie die PiS oder den Fidesz im Zaum zu halten. Wer von »illiberaler Demokratie« spricht, belässt Regierungen wie denen von Kaczyński und Orbán die Möglichkeit zu behaupten, ihre Länder seien nach wie vor Demokratien, nur eben keine liberalen. Beobachter von außen sollten sich unmissverständlich darüber im Klaren sein, dass hier die Demokratie als solche Schaden nimmt.

Populär wurde der Begriff »illiberale Demokratie« in westlichen Politikkreisen Mitte der 1990er Jahre. Er sollte Regime beschreiben, die zwar Wahlen abhalten, in denen sich die Wahlsieger aber nicht an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit halten. In einem einflussreichen Artikel behauptete der amerikanische Journalist Fareed Zakaria, dass Regierungen mit genuinem Rückhalt in der Bevölkerung regelmäßig gegen die Prinzipien dessen verstießen, was er als »Verfassungsliberalismus« bezeichnet und wozu er politische Rechte, bürgerliche Freiheiten und Eigentumsrechte zählt. Die Diagnose vom Aufstieg der »illiberalen Demokratie« war Symptom einer allgemeinen philosophischen und politischen Katerstimmung nach 1989: In den berauschenden Tagen, als der Staatssozialismus implodierte und die Welt geradezu demokratietrunken wirkte, hatte es den Anschein, als würden sich Mehrheitsprinzip, Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Grundrechte stets harmonisch zusammenfügen. Schon bald jedoch brachten Wahlen Mehrheiten hervor, die alle ihnen zur Verfügung stehende Macht nutzten, um Minderheiten zu unterdrücken und Grundrechte zu verletzen. Daraus ergab sich zwangsläufig die Notwendigkeit, den Liberalismus zu stärken, um die Gefahren für die Demokratie in Ländern einzudämmen, in denen die politischen Kandidaten eine »Winner-takes-all-Mentalität« an den Tag legen.

Diese begriffliche Tren