Katastrophe in Prag
Als ich vierzehn Jahre alt war, gehörte ich zu den wenigen Kindern und Jugendlichen, die in ein Ferienlager ins Ausland fahren durften. Wir fuhren nach Tschechien. Damals hieß das noch ČSSR, Tschechoslowakische Sozialistische Republik. Dorthin fahren zu dürfen, bedeutete eine große Auszeichnung. Das Lager war sehr einfach, mit eher schwierigen Bedingungen. Für uns Kinder war es aber sehr spannend. Keine festen Gebäude, nur Zelte; keine Betten, nur Matratzen und einfache Wolldecken; statt Sportschuhen Gummistiefel. Fließend Wasser und Waschgelegenheiten gab es auch nicht. Dafür fuhren wir zweimal in der Woche zum Duschen in eine tschechische Firma. Für uns Kinder war das alles ganz prima. Wir lebten fröhlich mit der Natur und dem Dreck. Gegessen haben wir aus altem Blechgeschirr. Unsere Koffer und Zelte wurden in einem alten Lkw transportiert, und unser Bus hatte auch schon viele Jahre auf dem Buckel. Uns Kinder hat das nicht gestört, für uns war das ein Abenteuer.
Organisiert und durchgeführt wurde dieses Kinderferienlager, so hieß das in der DDR, von der Firma meines Vaters. Das war in der DDR so üblich. Diese Ferienlager fanden jedes Jahr in den Sommerferien statt und dauerten drei Wochen. Für ein Kind kosteten drei Wochen 12 DDR-Mark! Das konnte jede Familie finanzieren. Wir hatten jeden Morgen Appell und dankten unserer Partei- und Staatsführung dafür, dass es uns so gut ging. Mir ging es wirklich gut und ich war dankbar, fand ich doch dort auch die Anerkennung, die ich zu Hause nie hatte. Jeden Tag konnte ich mit Freunden verbringen, ganz anders als zu Hause.
Die Gruppenleiter waren auch Werktätige der Firma meines Vaters, keine ausgebildeten Pädagogen. Dafür waren sie aber „politisch fit“, das heißt, wer auf die Kinder „losgelassen“ wurde, musste in der Partei sein. Normalerweise war mein Vater Jahr für Jahr der Leiter dieses Ferienlagers. Aber in die Tschechoslowakei durfte er nicht fahren. Er war nicht in der Partei. Da er für seine Kinder und seine Frau 1953 zwei Fische gestohlen hatte und deshalb drei Jahre im Zuchthaus gesessen hatte, galt er für zwanzig Jahre als vorbestraft. Solche „Verbrecher“ durften nicht in der Partei sein. War das Ferienlager aber auf dem Boden der DDR, wurde er jedes Jahr für seine „hervorragenden Leistungen bei