Vorwort
»Wir kommen heute Nacht. Und es wird keine Gnade geben«, warnte der libysche Staatschef Muammar Gaddafi am 17. März 2011, während seine Truppen unerbittlich auf Bengasi vorrückten, die bedrängte Hochburg des Aufstands, der einen Monat zuvor begonnen hatte. Derweil appellierten Rebellenführer verzweifelt an die internationale Gemeinschaft, zu intervenieren und sie zu unterstützen. Die beginnende Katastrophe konnte man sodann live im Fernsehen verfolgen, inmitten einer Flutwelle von Massenprotesten und deren gewaltsamer Niederschlagung durch die Regime überall in der Region. Die Menschen, die auf die Straße gegangen waren, schauten zu, und das Schicksal der arabischen Aufstände schien ungewiss.
Die Reaktion der Weltöffentlichkeit war ungewöhnlich. Die sonst so zerstrittene Arabische Liga sprach mit einer Stimme und verlangte ein internationales Vorgehen gegen Gaddafi. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedete – entgegen allen Erwartungen – eine Resolution, die Militäreinsätze zum Schutz der libyschen Rebellen erlaubte. NATO-Kampfflugzeuge begannen fast unmittelbar danach Luftangriffe zu führen, mit denen die Truppen des Regimes gestoppt und schon bald zurückgedrängt wurden.
Die Luftangriffe brachten jedoch keinen schnellen Sieg. Es folgte ein sechs Monate langes zähes Ringen, bevor ein überraschender Vorstoß der Rebellen nach Tripolis Gaddafis Regime zu Fall brachte. Am 20. Oktober wurde Gaddafi von Rebellen in Sirte getötet. Der Nationale Übergangsrat, die politische Führung der Aufständischen, der als neue libysche Regierung die Macht übernahm, kündigte einen ehrgeizigen Fahrplan für den Übergang zu einem demokratischen Libyen an. Im Frühjahr 2012 schienen sich in Libyen die Hoffnungen der arabischen Aufstände, der US-amerikanischen Strategie einer begrenzten militärischen Intervention und eines besseren Nahen Ostens zu erfüllen.
Doch dann lief alles schief. Dem neuen libyschen Staat gelang es nicht, für Sicherheit zu sorgen, einen politischen Konsens zu finden und effiziente Institutionen aufzubauen, trotz demokratischer Wahlen. Die bewaffneten Gruppen, die für die Revolution gekämpft hatten, weigerten sich, ihre Waffen niederzulegen, und operierten fortan als Milizen, die die Verkehrswege kontrollierten. Am 11. September 2012 verübte die islamistische Miliz Ansar al-Sharia (Libyen) einen dreisten militärischen Angriff auf das amerikanische Konsulat und die CIA-Stützpunkt in Bengasi. Erst einen Monat zuvor hatten die US-Senatoren John McCain, Lindsey Graham und Joe Lieberman auf eine amerikanische Intervention in Syrien gedrängt und auf Libyen verwiesen, wo »die tiefe Dankbarkeit für die amerikanische Hilfe im Krieg gegen Muammar Gaddafi die Grundlage für ein neues, helles Kapitel in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern gelegt hat«.1 Die Ermordung des amerikanischen Botschafters Chris Stephens und dreier weiterer US-Bürger durch eine dschihadistische Miliz im Kerngebiet der libyschen Revolution und inmitten chaotischer antiamerikanischer Proteste gab diesem neuen Kapitel einen blutigen Anstrich. Viele sahen darin das traurige Ende der arabischen Aufstände gekommen.
Die Folge des Angriffs in Bengasi war eine gefährliche Polarisierung der libyschen Politik und Gesellschaft, während dschihadistische Gruppen das Sicherheitsvakuum nutzten, um sich neu zu konstituieren. Die ausgebrannte Ruine des Konsulats wurde für Washington über Nacht zu einem Symbol fü