Kapitel 1
Fernweh, das (Substantiv, Neutrum): starker Wunsch oder starkes Verlangen nach der Ferne, nach fremden Ländern und danach, die Welt zu erkunden.
Es war mein Hochzeitstag. Diesen Tag hatte ich mir schon seit ich ein kleines Mädchen war in meinen Träumen ausgemalt und nun die letzten zwölf Monate damit verbracht, ihn zu planen und zu organisieren. Es sollte eine rustikale englische Hochzeit auf dem Land werden, inklusive handgearbeiteten Wimpelgirlanden, die von den Balken eines ungeheuer teuren Gutshauses hängen sollten, und einem auf dem perfekt gemähten Rasen aufgestellten Partyzelt, das sich in der Brise aufbauschen würde. Ein Harfenist sollte ein einfaches, doch liebliches Stück zupfen, während wir in den großen Empfangsraum gleiten, in dem uns Familie und Freunde jubelnd und klatschend als Mr. und Mrs. Doherty begrüßen würden. Das war der Teil, vor dem ich am meisten Schiss hatte; all die Leute, die mich anstarren und eine strahlend glückliche Braut erwarten würden, obwohl ich in Wahrheit Höllenangst davor hatte, dass ich beim Schreiten auf den Hintern fallen und mich zum Affen machen würde. Wenn ich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe, wird mir immer flau im Magen, und ich fange an, wie wild zu schwitzen. Deshalb hatte ich diese Situationen auf ein Minimum reduziert, und genau genommen hätte ich ja nicht alleine im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden.
Eigentlich sollte ich schon in meinem cremeweißen, mit Spitze besetzten Kleid mit Schleppe stecken. Ich schaute auf die Uhr, und mir fiel auf, dass die Lieferung der handgebundenen Bouquets aus taubenblauen Vergissmeinnicht und süß duftenden Fresien vor zehn Minuten hätte da sein sollen. Eigentlich sollte ich gerade in dem weichen Sessel des teuren Friseurs versinken, während dieser meine schlappen Locken in ein Kunstwerk verwandelte.
Stattdessen saß ich auf einer ungemütlichen Sonnenliege aus Plastik und versuchte, die großen, dicken Tränen zu verbergen, die mir über die leicht sonnenverbrannten Wangen liefen, während meine beste Freundin Marie mir noch einen verdächtig wässrigen Sex on the Beach von der All-inclusive-Poolbar reichte.
In einer Stunde hätte ich meinen Verlobten Alex heiraten sollen, doch vor fünfzehn Tagen hatte sich alles geändert. Im Fernsehen war eine Wiederholung vonDon’t Tell the Bride gelaufen, während ich die Sitzordnung mithilfe des 3-D-Modells, das mir Alex’ Schwägerin Francesca geliehen hatte, zum dritten Mal überprüfte. Sie war mit Kate Middleton zur Schule gegangen und hatte es geschafft, das injedem Gespräch zu erwähnen, das wir je geführt haben. Alex hatte schon wieder eine Spätschicht eingelegt. Während ich auf ihn gewartet hatte, war ich so sehr in die Folge eingetaucht, in der ein Nichtsnutz von einem Bräutigam für seine kurvige Braut mit Größe 44 ein Kleid der Größe 36 ausgesucht hatte, dass es mir gar nicht auffiel, als Alex auf einmal in der Tür stand. Er kaute auf den Fingernägeln und lockerte sich die Krawatte.
„Wir müssen reden“, hatte er gesagt. Seine Stimme klang kühl und gepresst. Auf seiner Krawatte war ein Tintenfleck, wegen dem mir seine Mutter zweifellos Vorwürfe machen würde, weil ich nicht in der Lage war, ihn herauszubekommen. Über meine