: Dalai Lama, Sofia Stril-Rever
: Die Berge sind so kahl geworden wie der Kopf eines Mönchs Wir haben nur diese Erde - Eine universelle Verantwortung für unseren Planeten
: Verlag Herder GmbH
: 9783451807817
: 1
: CHF 13.30
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: Gesellschaft
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Dalai Lama sorgt sich um unsere Zukunft und die unseres Planeten. Dem in der Geschichte der Menschheit höchsten Level materiellen Wohlergehens steht - so das geistliche Oberhaupt der Tibeter - das höchste Niveau an Unbehagen und psychischem Stress gegenüber. Wir befinden uns in einer sozialen Krise ohnegleichen, und diese findet ihren Ausdruck auch in einer existenzbedrohenden ökologischen Krise - mit Erderwärmung, Entwaldung, Gletscherschmelze, Bodenerosion, Umweltverschmutzung und steigenden Meerespegeln. In eindringlichen Worten ruft der Dalai Lama zur Umkehr auf. Und er plädiert für das ethische Prinzip einer universellen Verantwortung, die jenseits von Gewinnstreben und Religionen das Wohlergehen anderer, auch der nächsten Generationen, über das eigene stellt. Ein eindringlicher Appell, dem wir uns nicht entziehen dürfen.

Tenzin Gyatso wurde am 6. Juli 1935 im Nordosten Tibets geboren. Der buddhistische Mönch erhielt er im Altervon vier Jahren in der tibetanischen Hauptstadt Lhasa offiziell den Titel des 14. Dalai Lama. Er floh nach der Besetzung Tibets durch China 1959 nach Indien und residiert im Exil in Dharamsala.

Der Dalai Lama ist geistliches Oberhaupt der Tibeter und setzt sich für die Unabhängigkeit des Landes ein. 1989 wurde er mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Der Dalai Lama setzt sich mit friedlichen Mitteln für mehr Autonomie Tibets innerhalb Chinas ein. Er engagiert sich unter anderem auch gegen die nukleare Aufrüstung insbesondere im Nachbarland Indien. Darüber hinaus unterstützt er die Arbeit der SOS-Kinderdörfer.

uf seinen regelmäßigen Reisen in westliche Länder gilt der Salai Lama als Botschafter des Friedens und als anerkannter Gesprächspartner für Fragen rund um das Leben und Spiritualität.

Im Jahr 2011 legte er seine weltliche Führerschaftüber die Exiltibetaner auf eigenen Wunsch nieder, um sich besser auf seine religiöse Rolle konzentrieren zu können. Der Dalai Lama ist nicht nur der bedeutendste Repräsentant des Buddhismus, sondern weltweit unumstritten einer der großen Repräsentanten der Weisheit.

Sofia Stril-Rever, geboren in Marokko, ist eine französische Sanskrit-Expertin undÜbersetzerin des Dalai Lama. Seit sie diesen 1992 zum ersten Mal traf, hat sie zusammen mit ihm mehrere Bücher veröffentlicht.

WAS BISLANG NOCH KEIN ­
DALAI LAMA GESAGT HAT

VORWORT


von Sofia Stril-Rever

»Meine gute alte Freundin!«


In der gotischen Anlage von Oxford, wo ich auf die Ankunft des Dalai Lama warte, recken die Bäume ihr üppiges Laubwerk dem Himmel entgegen. Ihre Blätter zittern im leisen Wind wie offene Weisheitsbücher, während ihre Wurzeln ihr Geheimnis unter dem üppigen Rasen des Bodens verbergen.

Das Magdalene College ist ein Meisterwerk aufwändiger Architektur, die Frucht eines großartigen Zusammenspiels von Kunst, Natur und Zeit. Es trägt den Namen Maria Magdalenas, der biblischen Heiligen, die als Erste den auferstandenen Jesus im Garten bei Golgatha wiedersah und die Frohbotschaft von seiner Auferstehung den niedergeschlagenen Aposteln brachte. In der anglikanischen Kirche wird sie als Inkarnation der heiligen Weiblichkeit verehrt; die ersten englischen Universitäten Oxford und Cambridge wurden nach ihr benannt.

»Meine gute alte Freundin!«, ruft der Dalai Lama aus, als er mich sieht. Er drückt mich an sein Herz. Jede unserer Begegnungen – zählen kann ich sie schon gar nicht mehr – ist so neu, wie es alle bisherigen waren. Die erste erlebte ich in Dharamsala am Ostermontag im April 1992. An diesem Tag, an dem die Christen den Übergang ins wahre Leben feiern, war der Dalai Lama, von dem ich damals noch wenig wusste, aus einer großen Menschenmenge heraus, die sich zu einer tibetischen Oper versammelt hatte, auf mich zugekommen. Er hatte mich fest an sich gedrückt. Während dieser kurzen Umarmung war die Zeit für mich stillgestanden. Eine Stimme aus dem Nirgendwo und Überall hatte mir den Befehl gegeben: »Heraus!« Das war eine unbeschreibliche Erfahrung, die mein ganzes Denken und alle seine Vorstellungen herausforderte. Sie verlieh mir die Kraft, über den Geist der Abtrennung hinauszugehen, einen Geist, der abspaltet, absondert und Gegensätze aufstellt. Diese Kraft machte alle meine Grenzen, Ängste, Zweifel und Vorbehalte zunichte und lenkte mein Geschick in eine Richtung, die ich ganz und gar nicht vorausgesehen hatte.

23 Jahre danach, am Dienstag, dem 15. September 2015, vernehme ich wieder diesen Befehl: »Heraus!« Der Anspruch liegt dieses Mal auf einer Ebene, auf der ich ins Wanken komme, zugleich aber spüre ich auch, dass mich eine Woge des Vertrauens erfasst. Da überlasse ich mich ohne jeden Vorbehalt der grundlegenden Güte des Lebens, die mir die Gegenwart des Dalai Lama vermittelt, und ich lehne meinen Kopf an seine Schulter. Zu meiner großen Überraschung erlebe ich in den nachfolgenden Minuten, dass er nicht bloß die Uhrzeit unseres Interviews ändert, sondern sogar das Protokoll! Er wendet sich an den Präsidenten des Magdalene College und dessen Gattin und bittet sie, mich bei ihnen zum Essen einzuladen.

Soll das dritte Buch genauso dick werden wie die vorherigen?


Der hohe, nüchterne Speisesaal ist von strenger Eleganz und hat Gewölbebogen wie ein Kirchenschiff. Erhellt wird er von einer Reihe von gotisch gerippten Maßwerkfenstern. Büsten und Porträts entschieden dreinblickender Würdenträger schmücken den Raum – ernste und eindrucksvolle Vertreter einer Geschichte, die inzwischen weit über sie hinausgegangen ist. Sie sollten die stummen Zeugen dieses Besuchs des im Exil lebenden Souveräns vom Dach der Welt sein.

Der Präsident nimmt am oberen Ende eines massiven Eichentischs Platz und fordert das geistliche Oberhaupt der Tibeter auf, sich zu seiner Linken zu setzen, und mich, zu seiner Rechten. Bei dem Gedanken, dass ich zusammen mit dem Dalai Lama und seinem jüngeren Bruder Tenzin Choegyal an einem Tisch speisen soll, bekomme ich regelrechtes Herzklopfen. Seinem Bruder war ich bereits 2008 auf der Tournee mit dem Film »Renaissance«1, der von der Wiedergeburt handelt, begegnet, und er hatte mir Fotos gezeigt, die seine Flucht an der Seite des Dalai Lama verewigten. Die beiden hatten sich im März 1959 als tibetische Soldaten verkleidet, um der Treibjagd der Volksbefreiungsarmee zu entkommen, und waren über das Himalaya-Gebirge entflohen. Ihr Exil in Indien, eigentlich nur als vorübergehend vorgesehen, hatte sich nun bereits über ein halbes Jahrhundert hingezogen. Tenzin Choegyal nimmt an den »Mind& Life«-Dialogen, die der Dalai Lama zusammen mit renommierten internationalen Wissenschaftlern ins Leben gerufen hat, seit ihren Anfängen teil.2

Die Atmosphäre des Essens entspannt sich rasch, als sich der Dalai Lama auf seinem Stuhl umdreht und mit schallendem Lachen sagt: »Ich habe doch gemerkt, dass da jemand ist!« Daraufhin umarmt er den Kopf einer weißen Marmorbüste und tut so, als wolle er ihm den steinernen Bart abziehen. Ich meine, die Züge Shakespeares erkannt zu haben, jenes Dramatikers, der die herzzerreißenden Leidenschaften unserer Menschenseele in Szene gesetzt hat. Die Büste steht auf einem kleinen runden Tisch vor einem Uhrwerk, das die feierliche lateinische Aufschrift trägt:Pereunt et Imputantur, »Sie vergehen und werden angerechnet«. Dieser Spruch des römi