An jenem kalten Märzabend 2013 in Rom stand ich mit vielen Tausend Menschen auf dem Petersplatz, als Kardinal Jean Louis Tauran von der Benediktionsloggia des Petersdoms aus den Namen des neuen Papstes verkündete: Jorge Mario Bergoglio, der sich als erstes Oberhaupt der katholischen Kirche den Namen Papst Franziskus gegeben hatte. Ich wusste, dass an diesem Abend auch mein argentinischer Freund Javier auf dem Platz war. Ich fand ihn schließlich, und Javier sah entsetzlich aus, wie vom Donner gerührt; als hätte er mitten im Gedränge auf dem Petersplatz eine Erscheinung gehabt.
»Nimmt es dich so mit, dass ein Landsmann Papst ist?«
Er war kreidebleich. »Du verstehst das nicht«, stotterte er.
»Sicher verstehe ich das«, widersprach ich. »Es ist unglaublich! Der erste Papst vom amerikanischen Kontinent. Der erste Jesuit, der es auf den Thron Petri schafft. Und dann auch noch der Rebell der Celam-Konferenz. Es ist historisch, was hier heute Abend geschieht.«
Er redete jetzt sehr schnell. »Nein, du hast keine Ahnung!«
Ich konnte meine Begeisterung nicht verbergen. »Wieso nicht? Er wird neue Akzente setzen, Lateinamerika wird eine große Rolle spielen, er wird einen neuen Stil schaffen, in die Geschichte eingehen …«
Über Jorge Mario Bergoglio wusste ich einiges; schließlich hatte er schon bei der Wahl seines Vorgängers Joseph Ratzinger mehr als dreißig Stimmen im Konklave bekommen. Aber in der Tat hatte ich keine Ahnung, dass mein Wissen – über seine Rolle in der Celam (dem Lateinamerikanischen Bischofsrat, der immer wieder Konflikte mit dem Vatikan austrägt), seine schwierigen Beziehungen zum Vatikan, seinen Streit mit den Jesuiten – unbedeutend war. Was tatsächlich entscheidend sein würde für die Amtszeit dieses Papstes aus Argentinien, hatte sich vor langer Zeit in Buenos Aires abgespielt. Und es war Javier, der mir die Augen dafür öffnete.
Er zog mich mit einem harten Griff wie ein Ringer zu sich. »Du hast keine Ahnung«, wiederholte er streng. »Du verstehst überhaupt nicht, was hier gerade passiert. Jetzt kann etwas Unglaubliches geschehen, etwas, das alles verändern wird.«
»Sag ich doch«, schnaufte ich genervt und machte mich los. »Er wird neue Ideen einbringen, ganz anders als seine Vorgänger.«
»Nein«, sagte Javier entschlossen. »Alles, was du sagst, ist nebensächlich. Es geht um viel, viel mehr. Entweder hat er noch seinen legendären Mut, und nichts wird im Vatikan so bleiben, wie es ist, oder aber da oben im Vatikan wird ihn der Mut verlassen, weil er jetzt Papst ist. Und dann wird alles so sein, wie du es sagst, er wird einfach ein Papst aus Lateinamerika sein. Doch wenn ihn der Mut nicht verlässt, wirst du Unglaubliches erleben.«
»Ich verstehe nicht.«
In strömendem Regen und beißender Kälte erleben die Gläubigen, wie erstmals ein Jesuit die Nachfolge des Apostels Petrus antritt.
© Grzegorz Galazka
»Sag ich doch!«, schrie er in dem Getöse. »Da ist etwas in diesem Jorge Mario Bergoglio. Da ist etwas sehr Seltsames und sehr Starkes und sehr Seltenes – und vielleicht behält er es, obwohl er jetzt Papst ist.«
Er sprach immer schneller. »Es hat vor vielen Jahren angefangen, auf einem Hof in Argentinien bei Buenos Aires.«
»Was für ein Hof? Ich habe nie davon gehört. War das ein berühmter Ort? Was ist da passiert?«
»Nein, kein berühmter Ort. Ein hässlicher, leerer Hof vor einer Kirche am Stadtrand von Buenos Aires.«
»Und was soll das mit diesem unglaublichen Abend seiner Wahl zum Papst zu tun haben?«
»Bergoglio hat damals eine Entscheidung getroffen, eine sehr weitreichende Entscheidung.«
»Was ist da passiert?«
»Auf diesem Hof in Buenos Aires standen damals die Eltern der Jugendlichen, die sich an diesem Tag vom Bischof firmen lassen sollten. Es waren schon viele Familien da, und sie alle schauten auf die Einfahrt, durch die das Luxusauto des Bischofs kommen musste. Der Erzbischof Kardinal Quarracino hatte sich immer in einer großen Limousine der Diözese fahren lassen. Alle starrten auf das Tor; es war schon spät, und der Bischof, der neue Bischof Jorge Mario Bergoglio, sollte kommen. Statt des Wagens des Bischofs bogen immer wieder Eltern in den Hof ein. Alle fragten sich mittlerweile, wo Bischof Bergoglio denn b