1. KAPITEL
Chance Lassiter und seine Halbschwester Hannah Armstrong trafen sich am vierten Juli zur verabredeten Uhrzeit vor der Tür, die in den weitläufigen Wohnbereich der Big Blue Ranch führte.
„Das hier kommt mir irgendwie total verkehrt vor. Vor zwei Monaten erst habe ich erfahren, dass ich eine Schwester habe, und jetzt muss ich dich schon wieder hergeben“, sagte er traurig.
„Da ist was dran“, erwiderte sie lächelnd. „Aber du bist ein guter Freund von Logan, da werden wir zwei uns vermutlich öfter über den Weg laufen.“
„Darauf kannst du dich verlassen. Jedenfalls, was mich angeht.“ Er warf einen liebevollen Blick auf seine fünfjährige Nichte Cassie, die ungeduldig darauf wartete, dass sie endlich die Blumen streuen durfte, die sie in einem Körbchen am Arm trug. „Ich habe Cassie versprochen, mindestens einmal pro Woche mit ihr nach Cheyenne zu fahren, um ein Eis zu essen. Ich werde mein Wort halten.“
„Ich habe es kommen sehen. Du wirst sie hoffnungslos verwöhnen“, seufzte Hannah in gespielter Verzweiflung.
Er grinste und zuckte mit den Schultern. „Ich bin ihr Lieblingsonkel. Was erwartest du?“
„Du bist ihr einziger Onkel“, gab sie lachend zurück. „Ihr bleibt also keine Wahl.“
Als Chance vor einiger Zeit von seiner Halbschwester erfahren hatte, die aus einer außerehelichen Beziehung seines Vaters stammte, hatte er eine Reihe unterschiedlichster Gefühle durchlebt. Zunächst einmal war er zornig und enttäuscht gewesen. Sein Vater, den er immer für ein Vorbild in Sachen Moral und Anstand gehalten hatte, war seiner Ehefrau untreu gewesen. Und Marlene Lassiter, seine Mutter, wusste sowohl von der Affäre als auch von der Tochter ihres Mannes und hatte Chance kein Wort davon gesagt. Diese Tatsache machte die Enttäuschung umso bitterer. Seine Mutter war sich immer darüber im Klaren gewesen, wie sehr Chance während seiner Kindheit Geschwister vermisst hatte. Jetzt kam es ihm vor, als hätten seine Eltern ihm die Möglichkeit verwehrt, zumindest zeitweise zusammen mit seiner Halbschwester aufzuwachsen. Daher setzte er nun alles daran, die verlorenen Jahre aufzuholen, seit er vor zwei Monaten Hannah und seine bezaubernde Nichte kennengelernt hatte.
Als die Tür endlich geöffnet wurde, nahm er Hannahs Hand und legte sie in seine Armbeuge. „Abgesehen von der obligatorischen Verabredung zum Eisessen … du weißt, dass ich jederzeit für dich und Cassie da sein werde. Anruf genügt.“
„Du und deine Mutter, ihr beide seid so fantastisch.“ Tränen schimmerten in Hannahs grünen Augen, die seinen so ähnlich waren. „Ich weiß nicht, wie ich euch jemals danken soll. Ihr habt uns mit offenen Armen empfangen. Und eure Zuneigung bedeutet alles für mich.“
Er schüttelte abwehrend den Kopf. „Es besteht kein Grund für Dankbarkeit. Das ist das Schöne an einer Familie. Wir lieben Cassie und dich bedingu