1. KAPITEL
Was für eine lahme Party! Und es war auch nochseine Party. Wie war das möglich? Normalerweise waren die Feste von Gabriel Montoro berühmt.
Sehr zum Missfallen seiner Familie machte Gabriel seinem Spitznamen „Partykönig“ alle Ehre. Musik, Alkohol, schummriges Licht, Lachen und Tanzen – wo Gabriel auftauchte, gehörte das alles einfach dazu, und es herrschte immer ausgelassene Stimmung. Aber seit er die Last der Königswürde für den kleinen Inselstaat Alma hatte übernehmen müssen, war mit dem Partykönig nicht mehr viel los.
Verärgert griff Gabriel nach seinem Champagnerglas und sah sich im Ballsaal des FamiliensitzesCoral Gables um. Irgendwie kam ihm das tropische Paradies in Florida diesmal spießig vor. Keiner seiner exzentrischen Freunde war hier. Und nicht ein einziger wilder Papagei war zu sehen. Normalerweise fanden immer einige Vögel des großen Schwarms, der auf dem weitläufigen Gelände lebte, den Weg durch die offenen Türen. Die Montoros waren sehr wohlhabend, hatten aber nie mit ihrem Reichtum angegeben, sondern immer jeden willkommen geheißen. Auch die Papageien …
Doch seit sich dieser kleine europäische Staat Alma entschlossen hatte, nach Jahren der Diktatur wieder die parlamentarische Monarchie einzuführen, war alles anders geworden. Plötzlich war GabrielPrinz Gabriel, denn die Montoros, die früher die Könige gestellt hatten, waren nach Alma zurückgerufen worden.
Und obwohl Gabriel erst an dritter Stelle in der Thronfolge stand, würde er nun bald die Krone tragen müssen. Da sein Vater geschieden war, kam er nach der Verfassung von Alma nicht infrage. Und Gabriels älterer Bruder war mit einer Barfrau durchgebrannt.
Gabriel lächelte bitter. Er und König? Jeder erwartete plötzlich, dass aus dem Playboy Gabriel wie durch ein Wunder ein passabler König werden würde. Wenn sie sich da nur nicht täuschten. Wieder sah er sich in dem großen Raum um. Diese öde Abendgesellschaft war der Anfang seines neuen Lebens. Als Nächstes musste er sein luxuriöses Penthouse in South Beach für einen fremden Palast aufgeben und seine kurzen Liebschaften gegen eine Adelige mit Stammbaum eintauschen, die er auch noch heiraten sollte.
Was er sagte und was er anzog, würde vonseinem Volk kritisch betrachtet werden. Von Leuten, die er nicht kannte und die in einem Land lebten, das er nur einmal besucht hatte. In einer Woche würde er es wiedersehen. Und in ein bis zwei Monaten sollte die Krönung stattfinden. Ein entsetzlicher Gedanke.
Dies war also eine Art Abschiedsparty, wenn sie überhaupt als solche bezeichnet werden konnte. Ein kleines Orchester spielte klassische Musik, die Drinks waren vom Feinsten, und die Frauen hatten viel zu viel an. Bei dem Gedanken, dass so sein zukünftiges Leben aussehen würde, wurde Gabriel ganz elend. Langweilige Partys mit langweiligen Menschen, die er nicht kannte und die ihn nicht interessierten. Menschen, die ihn hofierten und sich bei ihm einschmeicheln wollten. Widerlich.
Ungefähr zweihundert Gäste waren heute Abend hier, aber Gabriel kannte nur einen Bruchteil von ihnen. Wieder verzog er die Lippen. Erstaunlich, wer plötzlich aus der Versenkung auftauchte und sich an ihn heranmachte, seit bekannt geworden war, dass sein Bruder Rafe den Thron nicht übernehmen würde.
Jetzt stand er also im Rampenlicht. Plötzlich war er nicht nur Vizepräsident des Familienunternehmens, verantwortlich für die Geschäfte in Südamerika, sondern ein zukünftiger König und absolutes Stadtgespräch von Miami.
Ausgerechnet ich!
Gabriel war das mittlere Kind, der Bad Boy der Familie, der von den arroganten Freunden seiner Eltern früher nie beachtet worden war. Aber kaum hatte sich die Nachricht von seiner künftigen Königswürde verbreitet, konnte er sich vor sogenannten Freunden nicht mehr retten.
Tut mir leid, Leute, ich habe keine Freunde …
Jedenfalls keine echten. Denn Gabriel konnte nur schwer sein Misstrauen anderen Menschen gegenüber ablegen. Zu früh hatte er schlechte Erfahrungen machen müssen. Und Vertrauen war nun mal die Grundlage einer Freundschaft. Selbst auf die Familie konnte er sich nicht immer verlassen, manchmal nicht einmal in Situationen, in denen er ihre Unterstützung dringend gebraucht hätte.
Wenn man vom Teufel spricht …
Sein Cousin Juan Carlos Salazar II. hatte ihn gesehen und kam quer durch den Saal auf ihn zu. Seine düstere Miene überraschte Gabriel nicht. Juan Carlos war immer ernst, ja, er schien gar nicht zu wissen, wie man sich amüsierte. Er fühlte sich für alles und jeden verantwortlich, arbeitete ständig und unterhielt sich eigentlich nur über Geschäftliches. So ein Mann sollte König von Alma werden, nicht aber jemand wie er, der sein Leben genoss.
Aber leider hatte es sich bei der Bevölkerung von Alma noch nicht herumgesprochen, dass blaues Blut allein keine Garantie für einen starken König war.
„Du unterhältst dich mit niemandem“, tadelte Juan Carlos und blickte von seinen fast zwei Metern auf ihn herab. „Das ist nicht gut.“
„Wieso?“ Gabriel war entschlossen, Juan Carlos Kontra zu geben. Dessen Meinung, wie überhaupt die anderer Leute, war ihm sowieso egal. „Keiner unterhält sich mit mir“, stellte er richtig.
„Wenn du dich auch in eine Ecke verkriechst und schmollst.“
„Stimmt doch gar nicht.“
„Es ist hoffnungslos.“ Juan Carlos verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Als was würdest du denn dein Verhalten bezeichnen?“
„Ich lasse meine Blicke über die Menge schweifen“, bemerkte Gabriel lächelnd. „Hört sich doch ziemlich königlich an, oder?“
„Hör auf!“ Juan Carlos stöhnte. „Du brauchst gar nicht so zu tun, als sei dir das alles hier wichtig. Ich weiß genau, dass du jetzt viel lieber in South Beach und hinter einem Mädchen her wärst. Wenn du glaubst, uns etwas vormachen zu können, ist das beleidigend für deine Familie und auch für dein Land.“
Recht hatte er. Natürlich wäre Gabriel viel lieber in einer Bar mit Musik, Alkohol und schönen Frauen gewesen. Nur mit einem Mädchen im Arm konnte er vorübergehend vergessen, in was für einer fatalen Situation er steckte. Aber nachdem Rafe sich eine Frau in einer Bar aufgetan und deshalb auf den Thron verzichtet hatte, hielt die Familie ihn an der kurzen Leine. Noch einen Skandal konnten die Montoros sich nicht leisten.
Dennoch würde er sich nicht dafür entschuldigen, dass er so war, wie er war. Schließlich war er nicht zum König erzogen worden.
Nachdem das Volk von Alma viele Jahrzehnte unter der Diktatur geächzt hatte, hatte es sich endlich befreien können und die Demokratie wieder eing