Queen Mum
/Seit einiger Zeitwohne ich wieder im Ausland– in meiner Heimatstadt Chicago. Ich habe meine Jeans tief im Schrank meiner Mutter verstaut und versuche nun, eine gepflegte Frau zu werden.
Erster Stopp ist die Sonderaktion im Luxuskaufhaus Neiman Marcus. Dieser Ort ist für meine Mutter das Zentrum des Universums. Sie kann in die tiefste Depression versinken– um sie daraus zu erwecken, muss man sie nur zu Neiman’s bringen, wo sie ihr Geld rausschmeißen kann, als ob es kein Morgen gäbe. Wenn der Mantel von 6.000 Dollar auf bloß 1.800 reduziert wurde, freut sie sich darüber, wie viel sie gespart hat.
Das Gute an Neiman’s ist, dass man sich Essen in die geräumigen Umkleidekabinen liefern lassen kann. Das tun wir auch sofort nach unserer Ankunft; dazu wird eine Flasche Weißwein bestellt. Die Verkäuferin strahlt uns an und bringt alles, was uns ihrer Meinung nach gefallen könnte: gelbe, grüne, blaue Röcke, Karohosen, Blusen in zarten Blumenmustern (mit oder ohne Spitzen) und knallrote Abendkleider für den großen Auftritt. Ich trage wie immer Schwarz. Die Verkäuferin und ihre Kolleginnen rennen unseretwegen so viele Meilen durch den Laden, dass man fast ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn man am Ende nur ein paar Hosen zum Sonderpreis von zweihundert Dollar mitnimmt. Meine Mutter versucht, mir alles aufzuschwatzen. Es ist ihr für ihr Selbstbild sehr wichtig, großzügig auszugeben, aber an mir verdienen die hart arbeitenden Verkäuferinnen keine guten Prozente. Eigentlich bräuchte ich erst mal einen Job und eine Wohnung, denke ich mir. Kann schon sein, dass ich später zu Galaveranstaltungen eingeladen werde, aber selbst dann werde ich mit Sicherheit nicht in Knallrot erscheinen.
Meine Mutter ist eine Queen. Sie wurde in Kentucky geboren und wuchs in Evansville, Indiana, auf, wo sie zur Miss Cherry Blossom und später von einer Kühlschrankfirma zur Miss Refridgeadorable gekrönt wurde. Mit ihrem ersten Ehemann machte sie in den Flitterwochen eine Dampferfahrt nach England. Als das Schiff ablegte, sagte ihr frisch angetrauter Ehemann:»Nur weil wir verheiratet sind, heißt das nicht, dass wir monogam bleiben müssen.« Sie heulte die ganze Strecke bis nach Europa. In London und Paris arbeitete sie als Model und wurde als Cover Girl vonHarper’s BazaarundVoguefür ihren»Audrey-Hepburn-Look« bekannt. Sie war sogar das Gesicht der Bounty-Werbung. Sie hatte in Europa auch einige heiße Affären, wie ihr Ehemann immer behauptete. Ihre Rechtfertigung war:»Wenn er es tut, dann tue ich es auch.« Sie vermutete, dass er sogar mit einem seiner männlichen Studenten herumgemacht hatte:»Die waren damals unzertrennlich, wie Siegfried und Roy.«
Am besten gefielen mir immer ihre Geschichten von Marcel Deroche, einem ihrer damaligen Liebhaber aus Paris. Ich hatte das Glück, ihn auf meiner ersten Europareise mit 21 Jahren tatsächlich persönlich kennenzulernen. Ich war schwer beeindruckt, als mich der gut aussehende, große Mann in seinem Jaguar Cabriolet vor meiner Pariser Pension abholte. Obwohl er vielälter war als ich, dachte ich anerkennend: Mensch, Mama, nicht schlecht! Er zeigte mir ganz Paris. Auf roten Teppichen betraten wir die besten Restaurants der Stadt, in denen er als Stammgast herzlich empfangen wurde. Er erinnerte sich gern an meine Mutter und behauptete großzügig, er habe in seinem Leben viele Liebhaberinnen gehabt, doch meine Mutter sei die einzige Frau gewesen, die jemals bei ihmübernachten durfte.
Meine Mutter hat nie Französisch gelernt, aber liebt die englische High Society. Sie schwärmt auch heute noch voller Nostalgie von ihren Londoner Zeiten und hat niemals ihre britische Lebensart aufgegeben. Nach ihrer ersten Scheidung zog sie in den späten Fünfzigerjahren mit einer kleinen Tochter allein nach Chicago.
Mittlerweile ist sie Mitglied in drei Privatklubs und bekommt in allen eine Altersermäßigung. Sie schwärmt für eine bestimmte Werbung, in der sich edle Rassekatzen in britischem Akzent darüber unterhalten, in welchen Klub sie gehen wollen. Sie macht die Katzen gern nach und freut sich, dass ihre Freunde auch noch anderen Klubs angehören, sodass sie eine breite Auswahl an Aktivitäten und Treffpunkten haben.
Als gefeierter Beautystar trägt meine Mutter auch im Alter von 75 Jahren nur das Beste. Obwohl ich mittlerweile vierzig Jahre alt bin, gibt sie mir jeden Tag eine ausführliche Stilberatung:»Deine Haare sind zu lang ... Kriegst du einen Schnurrbart? Du siehst so hart aus, kannst du dich nicht ein bisschen femininer anziehen? Probier mal dieses Kleid an!«
Jeden rationalen Einwand schmettert sie ab: