: Jeffery Deaver
: Blutiger Mond Thriller
: Blanvalet
: 9783641201678
: 1
: CHF 6.30
:
: Spannung
: German
Mit der Ruhe in New Lebanon, Indiana, ist es vorbei, als zwei Studentinnen ermordet werden. Bei seinen Ermittlungen stößt Detective Bill Corde zunächst auf die Finanzmisere des College-Direktors. Da kommt es in seinem eigenen Haus zu Ereignissen, die seine Familie in größte Angst versetzen. Bill befürchtet, dass der Täter ihn persönlich in das Verbrechen verwickeln will. Als er sein privates Umfeld genauer unter die Lupe nimmt, wird er auf einen jungen Professor aufmerksam, der seiner Tochter Nachhilfestunden erteilt ...

Jeffery Deaver gilt als einer der weltweit besten Autoren intelligenter psychologischer Thriller. Seit seinem ersten großen Erfolg als Schriftsteller hat Jeffery Deaver sich aus seinem Beruf als Rechtsanwalt zurückgezogen und lebt nun abwechselnd in Virginia und Kalifornien. Seine Bücher, die in 25 Sprachen übersetzt werden und in 150 Ländern erscheinen, haben ihm zahlreiche renommierte Auszeichnungen eingebracht. Nach der weltweit erfolgreichen Kinoverfilmung begeisterte auch die TV-Serie um das faszinierende Ermittler- und Liebespaar Lincoln Rhyme und Amelia Sachs die Zuschauer. Neben Lincoln Rhyme hat Deaver mit Colter Shaw einen weiteren außergewöhnlichen Serienhelden geschaffen.

1


Mit jeder Meile, die sie hinter sich brachten, wurde ihr das Herz ein bisschen schwerer.

Das neunjährige Mädchen, das in sich zusammengesunken auf dem Beifahrersitz saß, rieb mit einem Finger über die abgewetzte beigefarbene Armlehne. Der Fahrtwind, der durch das geöffnete Seitenfenster hereindrang, blies der Kleinen eine blonde Strähne ins Gesicht. Sie strich sie sich aus der Stirn und sah den ernst dreinblickenden und grauhaarigen, fast vierzigjährigen Mann hinter dem Steuer an. Er fuhr vorsichtig und schaute stur auf die lange weiße Kühlerhaube des Wagens.

»Bitte«, sagte das Mädchen.

»Nein.«

Sie legte die Hände in den Schoß.

Wenn er an der nächsten Ampel anhalten musste, würde sie vielleicht aus dem Auto springen.

Wenn er die Geschwindigkeit nur ein kleines bisschen herabsetzte …

Ob es wohl sehr wehtun würde, fragte sie sich, wenn man sich aus einem Wagen in das hohe Gras am Straßenrand fallen ließ?

Sie stellte sich vor, wie sie über die grünen Halme rollte und die kühlen Tautropfen auf Gesicht und Händen spürte.

Aber was dann? Wohin sollte sie laufen?

Vor ihnen sprang eine Ampel auf Grün, und das Mädchen zuckte zusammen, als wäre neben ihm eine Kanonenkugel abgefeuert worden. Der Wagen bog ab und rumpelte durch die Einfahrt in Richtung eines niedrigen Ziegelsteingebäudes. Das Mädchen begriff, dass damit die letzte Chance zur Flucht vorbei war.

Das Auto kam zum Stehen, und die Bremsen quietschten leise. »Gib mit einen Kuss«, sagte der Mann, beugte sich über sie und öffnete ihren Sicherheitsgurt. Der Gurt schnellte hoch, aber sie hielt sich daran fest, als hinge ihr Leben davon ab. »Ich will nicht. Bitte!«

»Sarah!«

»Nur heute nicht, bitte!«

»Nein.«

»Lass mich nicht allein.«

»Raus mit dir!«

»Ich bin noch nicht so weit.«

»Tu dein Bestes.«

»Ich habe Angst.«

»Da ist nichts, wovor du …«

»Bitte, lass mich nicht allein!«

»Hör zu«, sagte er hart, »ich bin ganz in der Nähe. Drüben am Blackfoot Pond. Das ist nicht mal eine Meile entfernt.«

Ihr Vorrat an Einwänden war erschöpft. Sarah öffnete die Wagentür, blieb aber sitzen.

»Gib mir einen Kuss.«

Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn rasch auf die Wange. Dann stieg sie aus dem Auto in die kühle Frühlingsluft, die unangenehm nach Busabgasen stank. Sarah machte drei Schritte auf das Gebäude zu und verfolgte dann, wie der Wagen aus der Einfahrt fuhr. Sie musste an die Garfield-Puppe denken, die an der Heckscheibe des Kombiwagens klebte. Ihr fiel wieder ein, wie sie sie selbst dort befestigt hatte. Zuerst hatte sie über die Saugnäpfe geleckt und dann das Kuscheltier an die Scheibe gedrückt. Aus irgendeinem Grund hätte sie bei dieser Erinnerung am liebsten laut losgeheult.

Vielleicht würde er einen Blick in den Rückspiegel werfen, sie in ihrer Not sehen, seine Meinung ändern und zurückkehren.

Der Wagen verschwand hinter einer Kuppe.

Sarah drehte sich um und betrat das Gebäude. Sie hielt ihre Frühstücksbox fest an die Brust gepresst, während sie durch die Flure schlich. Obwohl sie so groß war wie die anderen Kinder, die hier herumschwärmten, fühlte sie sich doch kleiner als sie. Und ihnen unterlegen. Schwächer.