Wo immer Menschen nach Heiligkeit streben, fallen sie auch in Sünde, denn der Weg zur Vollkommenheit ist lang und schwierig, und nicht jeder bewährt sich auf ihm. Es sollte uns daher nicht überraschen, sündhaftes Verhalten auch in Klöstern anzutreffen. Ein Kloster ist, wie der hl. Benedikt bemerkte, stets eine „Schule des Herrn“, und als solche ein nie abgeschlossener Prozess der Angleichung des eigenen Ich an den Herrn. Die Frage ist allerdings, warum Historiker daran interessiert sein sollten, wie Klöster mit schweren Sünden oder Vergehen umgingen.
Es gibt eine Reihe legitimer Antworten auf eine solche Frage. Zu allererst demonstrieren klösterliche Regeln über Kriminalprozesse und Bestrafung die verschlungene Geschichte der Entwicklung des modernen Strafrechts im Kontext des Kirchenrechts. Heutzutage sehen wir es als Selbstverständlichkeit an, dass ein Angeklagter das Recht auf einen Verteidiger hat, ohne zu bedenken, dass diese Praxis ihren Ursprung in den Inquisitionsprozessen des Kirchenrechts hatte und erst auf Umwegen ins moderne Recht übersetzt wurde.4 Andererseits beleuchtet die Geschichte der Klosterkerker auch einen völlig unbekannten Aspekt der Kirchengeschichte, nämlich die Folter von Ordensangehörigen, und zeigt neue Wege auf, Gewalt unter Personen zu untersuchen, die sich als Familienangehörige verstanden. Zweitens demonstriert eine Geschichte von Verbrechen und Bestrafung im