Von der Spitze einer hundert Fuß hohen Stange einen Schritt vorwärts treten
Stefan Bauberger
Von Gott gezogen – zum Zen gezogen
In einem katholischen Jugendhaus, das ich oft besuchte, wurde ein Kurs für Yoga und Meditation angeboten. Leider musste man mindestens 16 Jahre alt sein, und ich war erst 15. Ich hatte das Gefühl, eine wichtige Chance verpasst zu haben. Ein Jahr später ging wieder ein Kurs los, und diesmal war ich dabei. Das war mein Einstieg in Zen, ganz im christlichen Rahmen. Ich besuchte dann auch einige Zen-Kurse im Meditationshaus der Franziskaner in Dietfurt.
Einige Jahre später, schon vor meinem Eintritt in den Jesuitenorden, kam mein erstes Sesshin1 mit Pater Lassalle, Jesuit und Pionier der Zen-Meditation im Christentum. Es war sehr fordernd, weniger körperlich als psychisch. Dieses Sesshin hat einen tiefen Eindruck in mir hinterlassen, und ich war noch einige Jahre lang damit beschäftigt, das aufzuarbeiten, was es in mir ausgelöst hatte.
In den folgenden Jahren war ich im Noviziat der Jesuiten, zur Einführung in den Orden, besonders auch zur spirituellen Schulung. Wir sollten, neben anderen Gebeten, eine Stunde am Tag der Betrachtung widmen, was eine Form der Meditation von biblischen Texten ist. Eine weitere Stunde übte ich jeden Tag Zen-Meditation. Es gab glücklicherweise noch andere Novizen, die dasselbe Interesse hatten. Auch der Leiter des Noviziats war dafür offen. Ich las in dieser Zeit viele Texte von Mystikern. Während mir sonst manche theologische und auch spirituelle Bücher ziemlich hohl vorkamen, haben diese Texte mein Herz und meine Sehnsucht angesprochen. Anschließend konnte ich auch wieder Zen-Sesshin mit Pater Lassalle besuchen. Immer noch war ich ein Anfänger, der die ersten tastenden Schritte auf diesem Weg ging.
Meine Zen-Meditation war in dieser Zeit eine Form des täglichen Gebets: einfach zur Ruhe kommen und in Gottes Gegenwart da sein. Es war ein mühsamer Weg ohne große Erfahrungen, und das blieb es noch lange Zeit. Nachträglich bin ich sehr froh, dass mir die Geduld und Energie geschenkt wurde, durchzuhalten. Die Motivation für meine Meditation war in dieser Zeit geteilt. Eine große Rolle spielte die innere Not, mit mir zurechtzukommen. Aber es war ganz wesentlich auch die Sehnsucht nach Gott, dieselbe Sehnsucht, die mich Jesuit hatte werden lassen. Ich war dankbar, mit Pater Lassalle und anderen, denen ich begegnen durfte, Menschen gefunden zu haben, die offensichtlich auf diesem Weg Erfüllung gefunden hatten. In all dieser Zeit war es aber für mich kaum ein Thema, dass Zen eine buddhistische Meditation darstellt und im Buddhismus verwurzelt ist, obwohl ich mich für die asiatische Kultur und den Buddhismus durchaus begeistern konnte.
Krise und Glauben
Wenn auch die Übung der Meditation ohne aufregende Erfahrung ablief, geschah in dieser Zeit doch eine tiefe Umformung meines Glaubens. Diese stand in Zusammenhang mit einer großen Krise. Mein ganzes Leben schien seinen Sinn verloren zu haben, und das verdichtete sich bei der Feier des Gottesdienstes und beim Beten. In der Zen-Meditation übte ich damals nicht mit Koan2 | aber meinen Umgang mit dieser Krise kann ich nachträglich wie das Lösen eines Lebenskoan verstehen. Die Zen-Meditation war eine große Hilfe, um mich dieser Frage nach dem Sinn zu stellen. Das war eine Weise, diese Frage lebendig werden zu lassen, ihr Raum zu geben, ohne dass ich von vornherein schon eine religiöse oder sonst eine Antwort geben musste. Nach ein paar Wochen, die mir endlos vorkamen, löste sich die Frage auf und wich einer Gewissheit, die ich nicht in Worte fassen konnte.
Glaube wurde für mich ein Geschenk, eine Gnade. Er bestand nicht mehr nur darin, mich an Gewissheiten zu klammern. Ein Vertrauen, das letztlich keinen fassbaren Grund hat und das gerade deshalb unzerstörbar ist. Paulus zählt den Glauben zu den Gaben des Geistes. Er wächst aus der Beziehung zu Gott, zu Christus. Im Verständnis des Mahayana-Buddhismus3 verhält sich der Glaube zum „Geist“ wie das Licht zur Lampe: Er ist eine natürliche Funktion des „Geistes“ (die christliche Theologie nennt dasselbe „übernatürlich“). Aber diese Natürlichkeit muss erst wieder gefunden werden.
Diese Art des Glaubens erwächst aus der Spannung zwischen einem ersten Glauben und dem Zweifel – so lehrt es Zen, und so erging es mir in dieser Krise. Der Zweifel ist nicht der Feind des Glaubens, sondern die echte Auseinandersetzung mit dem Zweifel gehört zum Glauben und führt zum Glauben. Es geht im Glauben nicht nur um irgendwelche allgemein einsichtigen Wahrheiten, sondern um eine umwälzende neue und gute Botschaft. Diese ernst zu nehmen umfasst den Zweifel.
Begegnung mit dem Buddhismus
Nach zwei Jahren Studium der Philosophie kam ich zu einem einjährigen Praktikum in ein Flüchtlingslager in Malaysia. Dort waren Flüchtlinge untergebracht, die mit Booten aus Vietnam geflohen waren. Die meisten von ihnen waren Buddhisten. Diese Zeit war n