»Darf ich Sie noch mal fragen, wie Ihr Name war?«
CARY GRANT, DER UNSICHTBARE DRITTE (1959)
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Er könnte irgendeiner von den Leuten hier sein.
Schließlich habe ich keine Ahnung, wie Alex aussieht. Ich weiß nicht mal seinen richtigen Namen. Na ja, wir chatten seit Monaten, ein paar wichtige Sachen weiß ich. Er ist klug und lieb und lustig, und wir haben beide gerade die Elfte abgeschlossen. Wir haben dieselbe Leidenschaft – alte Filme. Und wir sind beide gern allein.
Wären das unsere einzigen Gemeinsamkeiten, würde ich hier allerdings gerade nicht wie ein kopfloses Huhn herumlaufen. Aber Alex lebt in derselben Stadt wie mein Vater und das macht die Sache … kompliziert.
Denn indem ich gerade in einem kalifornischen Flughafen die Rolltreppe hinunterfahre und Fremde beobachte, die in die entgegengesetzte Richtung schweben, begebe ich mich prinzipiell in die Nähe von Alex und in meinem Kopf fechten endlose Möglichkeiten gegeneinander. Ist Alex klein? Groß? Schmatzt er oder hat er irgendeinen nervigen Lieblingsspruch? Popelt er in der Öffentlichkeit in der Nase? Hat er statt Armen bionische Tentakel? (Merken: Kein Ausschlusskriterium.)
Tja. Den nicht virtuellen Alex zu treffen könnte super sein, aber ebenso gut eine fette peinliche Enttäuschung. Und genau aus diesem Grund bin ich nicht sicher, ob ich wirklich mehr über ihn erfahren will.
Ihr müsst nämlich wissen, eigentlich gehe ich prinzipiell jeder Konfrontation aus dem Weg. Schon immer. Dass ich jetzt, eine Woche nach meinem siebzehnten Geburtstag, auf die andere Seite des Landes fliege, um zu meinem Vater zu ziehen, hat nichts mit Mut zu tun. Es ist eine Meisterleistung an Vermeidung. Ich heiße Bailey Rydell und bin eine notorische Ausweicherin.
Als meine Mutter meinen Vater gegen Nate Catlin von Catlin& Partner ausgetauscht hat – ich schwör’s, so stellt er sich ernsthaft vor –, bin ich nicht wegen ihrer Versprechungen bei ihr geblieben: neue Klamotten, ein eigenes Auto, eine Reise nach Europa. Alles ganz nett, klar, aber nichts davon war mir wirklich wichtig. (Oder ist tatsächlich eingetreten. Aber das nur am Rande.) Sondern weil ich nicht wusste, wie ich mich meinem Vater gegenüber verhalten sollte, während er sich an sein neues Leben als sitzengelassener Ehemann gewöhnte. Es hatte auch nichts damit zu tun, dass er mir nichts bedeuten würde. Eher im Gegenteil.
Aber in einem Jahr kann sich vieles ändern, und da sich Mom und Nate mittlerweile ununterbrochen angiften, ist es für mich an der Zeit, den Abflug zu machen. Das ist schließlich die Grundregel einer Ausweicherin. Man muss flexibel sein und wissen, wann der Zeitpunkt zum Verschwinden gekommen ist. Sonst ist am Ende alles zu verfahren. Und es ist für alle Beteiligten angenehmer, wirklich. Ich will schließlich für jeden nur das Beste.
Nachdem ich mein Gepäck vom Laufband genommen habe, spähe ich durch die automatischen Türen, hinter denen mein Vater mich erwartet. Ich ducke mich hinter einen sonnigenCalifornia Dreamers!-Aufsteller. Das Wichtigste, um unangenehme Situationen zu vermeiden, ist nämlich der Präventivschlag: Sorgt immer dafür, dass ihr die anderen als Erste seht. Und bevor ihr mich der Feigheit bezichtigt, lasst es euch noch mal durch den Kopf gehen. Es ist nicht einfach, so neurotisch zu sein. Es