: Andreas Sommer
: Freunde Roman
: LangenMüller
: 9783784482583
: 1
: CHF 13.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine verschworene Clique. Damals, in der Provence: Vier junge Menschen voller Ideale und mit verschiedenen Sehnsüchten stürzen sich ins Leben. Joël will Künstler werden, Gina Ärztin in der dritten Welt. Pio will als Lehrer und Bastian als Politiker die Welt verändern. Heute, Jahrzehnte später in der JVA, ziehen sie Bilanz: Während sie glaubten, ihr Leben zu gestalten, schlug das Schicksal ganz schöne Kapriolen, aus kleinen Geschehnissen entstanden große Veränderungen. Warum hatte die Umarmung des Dalai Lama völlig andere Auswirkungen als die chinesischen Schriftzeichen von Ai Weiwei? Besonders präsent ist jedoch der Fünfte im Bunde, der nicht mehr da ist: Vincenz. Sein Verlust schmerzt bis heute und hinterlässt Schuldgefühle. Wie konnte es nur so weit kommen?

Andreas Martin Sommer, Jahrgang 1956, baute nach seinem Studium in Psychologie und Betriebswirtschaft Mediendienste für Universitäten auf und gründete Privatschulen in der Schweiz und in England. Seit 15 Jahren schreibt er Theaterstücke, Drehbücher und Treatments für Film und Fernsehen, 'Freunde' ist sein vierter Roman. Der Autor lebt in der Schweiz und in Frankreich.

PREMIÈRE SAISON –

Der Dschungel ist nie still

I

Grattage! Unter der Sonne der Provence ist das Sklavenarbeit.Gratahsch mit weichem Schlusslaut. Stundenlang. Tagelang. Den Fäustel in der einen und den Meißel in der anderen Hand. Gina und Bastian stehen auf Leitern, Joël und ich auf einem Baugerüst. Vor uns die lange, drei Meter hohe Wand, eine gelbgraue Zumutung. Irgendwo in einer Ritze des Verputzes setzen wir den Meißel an, auf den wir den Fausthammer schlagen. Als Belohnung splittert ein klitzekleines Stückchen alten Mörtels weg. Das wiederholt sich hundert, zweihundert Mal. Unsere Finger sind wund, auch wenn wir mittlerweile mehrheitlich den Meißel treffen. Gott der Werktätigen, habe ein Einsehen!

Ich habe die dreihundert Jahre alte Ruine für siebzigtausend französische Francs erworben, knapp zwanzigtausend Schweizer Franken. »Geborgt«, habe ich auf Ginas Frage nach meiner Geldquelle gesagt – erleichtert und beschämt zugleich, als sie sich damit zufriedengab. Ich habe uns zu einer Art Fluchtburg verhelfen wollen; die Gläubiger wissen nichts von dieser Leihgabe …

Joël schnaubt triumphierend. Eben hat sich unter seinem Schlag ein Stück so groß wie eine Untertasse gelöst. »Paff! Habt ihr das gesehen?«

»Lass uns noch was übrig!«, ruft Bastian mit der Ironie der Verzweiflung. Gina hat nicht einmal hingeblickt, sie lässt sich nicht ablenken. Dazu ist sie zu eifrig und zu ehrgeizig. Sie schafft es sogar, abends noch für ihr Fernabitur zu lernen. Joël nennt sie ein Monster der Selbstdisziplin.

Ich habe Joëls Großtat gar nicht mitbekommen. Schweigend blicke ich hinaus in die wilde Garrigue, glücklich mit meiner Bidi. Die anderen halten mich ohnehin für wortkarg. In der nächtlichen Runde gestern hat Joël verkündet, warum ich bei »der gesamten Menschheit« sympathisch rüberkomme: »Pio, du bist ein Mensch, der wenig Erdoberfläche beansprucht! Deine Füße zum Beispiel: skandalös klein für deine eins neunzig. Ein schmales Gesicht hast du auch, sogar deine Ohren liegen eng an.«

»Stimmt, du bist der einzig wirklich Sympathische von uns, und deine Nase ist schön schmal«, hat Gina gemeint. Ich habe um Themenwechsel gebeten.

Wir vier sind »zertifizierte Revolutionäre«. Diese Klassifizierung stammt von Bastian, dem Studenten der Politologie. Er ist mittelgroß und wirkt jungenhaft, sein Gesicht ist eher rund. Überhaupt ist er ein Eher-Typ: das blonde Haar eher lang, der Mund eher breit, die Nase eher klein. Dennoch hat er eine männliche Ausstrahlung. Vermutlich liegt das an seinen eindringlich blauen Augen und an der eigenartigen Beherrschtheit um den Mund. Man bekommt den Eindruck, als müssten die Laute sich ducken, um hindurchzuschlüpfen, als schärfe er sie an den Zähnen. Doch er spricht mit angenehmer Stimme. Wenn uns die Ruine eine böse Überraschung beschert – wie vorgestern, als der Küchenboden einbrach –, sagt er bestimmt: »Mich als zertifizierten Revolutionär kann das nicht erschüttern.« Darin steckt natürlich Selbstironie, aber irgendwie fühlen wir uns immer noch als Teil der sandinistischen Revolution in Nicaragua.

Vor Kurzem erst sind wir vom dreimonati