: Richard Ford
: Verdammtes Glück
: Hanser Berlin
: 9783446255432
: 1
: CHF 7.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 302
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nachdem Quinn aus dem Vietnam-Krieg wiederkehrt, will er bloß eines: Alles Grauen vergessen, das er gesehen hat. Und endlich das große Glück finden. Doch wo soll er danach suchen? Und ist dafür Oaxaca, Mexiko, wirklich der richtige Ort? Hier hat es vor allem vom Leben gebeutelte Pechvögel hinverschlagen: Soldaten, Dealer, Verlierer... Quinn setzt alle Hoffnung in seine Exfreundin Rae - aber um sie zurückzuerobern, muss er zuerst ihren Bruder Sonny aus dem Gefängnis holen, der wegen Drogenschmuggels angeklagt ist. Schonungslos und zugleich mit größter Einfühlsamkeit erzählt Richard Ford von Momenten des Glücks in einer erbarmungslosen Welt voller Drogen, Waffen und Boxkämpfe.

Richard Ford wurde 1944 in Jackson, Mississippi, geboren und lebt heute in Maine. 1996 erhielt er für seinen Roman Unabhängigkeitstag den Pulitzer Prize und den PEN/Faulkner Award, 2019 den Library of Congress Prize for American Fiction. Bei Hanser Berlin erschienen zuletzt das Porträt seiner Eltern Zwischen ihnen (2017), der Erzählungsband Irische Passagiere (2020) und sein Roman Valentinstag (2023).

Kapitel 1


Quinn wußte, er brauchte das Glück auf seiner Seite. Rae kam am Nachmittag aus Mexico City, und wenn sie das Geld richtig einsetzten, war Sonny in drei Tagen aus demprisión und konnte verschwinden.

Das Glück, dachte Quinn, war immer in die Tüchtigkeit vernarrt. Ein persisches Sprichwort besagte genau das. Und seit er in Oaxaca war, hatte er sich bis hin zu Kleinigkeiten als tüchtig erwiesen. Wenn schon nichts anderes, so war er jedenfalls tüchtig gewesen. Nur in einem Punkt war er unsicher und machte sich Sorgen: Er fragte sich, ob er noch der Typ war, der im entscheidenden Moment das Glück auf seiner Seite hatte.

Am Nachmittag hatte er im Portal de Flores eine Italienerin kennengelernt. Sie war aus dem Park gekommen und hatte sich, ehe sie sich an seinen Tisch setzte, in dem Straßencafé umgeschaut, als suche sie ein bekanntes Gesicht. Mit einem Lächeln nahm sie Platz und drehte sich dann um und blickte zurück zum Portal, zu den Hippies und den Bettlern mit ihren Decken und zu den Kaffee trinkenden englischen Touristen. Sie sah ihn an, und ihr Lächeln hatte etwas Vertrauensvolles, gerade so, als müsse er verstehen, weshalb sie da war. Quinn hatte es sich angewöhnt, keine belanglosen Gespräche zu führen. Gespräche waren riskant. Man wußte nie, was man sagen würde, und sieben Monate des Alleinseins hatten ihn gelehrt, den Mund zu halten. Aber er saß ihr nicht ungern gegenüber. Blicke hatten noch niemanden schwanger gemacht. Der Portal begrenzte den zentralen Park mit einer Ladenpassage, einem langen Gewölbegang, dessen Innenseite offen war. Es war der Mittelpunkt übler und anständiger Geschäfte in Oaxaca. Hier im Portal traf er sich immer mit Bernhardt, wenn sie zum Gefängnis rausfuhren; unter der in der Luft baumelnden Schachtel Raleighs wartete er dann darauf, daß Bernhardts Mercedes auf die Avenida Hidalgo einbog. Und an Tagen, an denen sie nicht zum Gefängnis rausfuhren, kam er gerne am frühen Abend hierher, wenn es im Centro nicht von neuen Touristen wimmelte; das Licht war dann von einem zarten Grün und nicht so hart, und auf den Straßen herrschte so etwas wie ein bescheidenes, unpersönliches, einladendes Leben, und man hatte das sichere Gefühl, daß alles, was man sah, berechenbar war.

Das Mädchen war Anfang Zwanzig und hatte ein rundes skandinavisches Gesicht, das sie nicht zur Schönheit machte, ihrer Schlichtheit jedoch einen besonderen Reiz gab. Sie hatte dunkle, ausdrucksstarke Lippen. Sie holte ein Paar Sandalen aus ihrerbolsa, zog sie aber erst an, nachdem sie eine ganze Weile wortlos an den Riemen herumgemacht hatte. Quinn las imExcelsior die Baseballergebnisse. Das Mädchen blickte zum Portal hinüber und bemühte sich vergeblich, einen der Kellner auf sich aufmerksam zu machen. Sie sah wieder Quinn an, lächelte und bat ihn um eine Zigarette. Als sie dann rauchte, fragte sie ihn, wo er herkomme, und er sagte ihr nur, aus den Staaten. Sie atmete den Rauch aus und erzählte ihm, sie komme aus Milano und habe sich jetzt eine Woche lang in Oaxaca erholt. Sie sagte, sie sei zusammen mit einem Freund im Wohnmobil von Mexico City heruntergefahren, und dieser Freund habe sie verlassen und sei verschwunden, und jetzt wolle sie noch einen Tag auf ihn warten und dann mit dem Bus nach San Cristóbal fah