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Lucas Hunter, das Alphatier der DarkRiver-Leoparden, beendete den Videoanruf, indem er mit dem Zeigefinger auf den Monitor tippte. Doch sein derzeitiger Gemütszustand strafte seine äußere Gelassenheit Lügen. Ein grimmiger Zug erschien um seinen Mund, und er spürte inwendig seine Krallen, als sein schwarzer Panther fauchte.
Er kämpfte noch mit dem Bedürfnis, das Fauchen herauszulassen, als einer seiner Wächter den Kopf ins Zimmer steckte. Es war Lucas’ privates Büro im Hauptquartier des Rudels am Rand von Chinatown, von wo aus dieses seine zahlreichen Firmen leitete. Der schwarzhaarige, breitschultrige Clay, dessen grüne Augen einen lebhaften Kontrast zu seiner dunkelbraunen Haut bildeten, war offiziell der Oberbauleiter von DarkRiver Construction und eines der vertrauenswürdigsten Mitglieder des Rudels, ein Mann, von dem Lucas wusste, dass er sich blind auf ihn verlassen konnte.
Clays Kleidung – eine strapazierfähige schwarze Outdoor-Hose und ein dschungelgrünes T-Shirt mit dem weißen AufdruckDarkRiver Construction auf dem Rücken – erweckte den Eindruck, als wolle er zu einer Baustelle, bis er dann sagte: »Jon und seine Freunde haben unten an den Piers etwas entdeckt.«
Lucas, der heute nicht in Stimmung für jugendlichen Übermut war, blickte finster. »Wieso sind sie nicht in der Schule?«
»Die Hälfte des Unterrichts entfällt. Irgendein großes, stadtweites Lehrertreffen.« Clay stützte sich mit der Hand gegen den Türrahmen. Dabei verrutschte der rechte Ärmel seines T-Shirts und gab den Blick auf seine Tätowierung frei – Kratzspuren, die den Jägermalen auf Lucas’ rechter Gesichtshälfte nachempfunden waren. Dieser war mit den gezackten, wilden Linien, die ihn als Gestaltwandlerjäger identifizierten, geboren worden und verfügte somit über die Fähigkeit, Einzelgänger, die sich komplett dem Tier in sich ergeben hatten, aufzuspüren und zur Strecke zu bringen.
Anders als wilden Tieren durfte man wild gewordenen Gestaltwandlern nicht erlauben, einsam umherzustreifen, weil es trotz ihrer äußeren Erscheinung keine Tiere waren. Einzelgänger machten ausnahmslos Jagd auf die, die sie einst geliebt hatten, als erinnerte sich ein Teil von ihnen daran, wer sie gewesen waren, und neidete den Rudelgefährten und Liebsten, dass sie dieses Leben noch immer führten. Lucas hatte seit sieben Jahren keinen wild gewordenen Leopard exekutieren müssen und hoffte, dass er diesen Rekord für viele weitere Sieben-Jahre-Blöcke würde halten können.
Kein Alphatier wollte seine eigenen Leute töten.
Clays Tätowierung sprach eine völlig andere Sprache; wie auch die anderen Leopardenwächter hatte er sie sich als stilles Symbol für seine Loyalität gegenüber Lucas stechen lassen. Es war ein Treueeid, den Lucas niemals als selbstverständlich betrachtete. Ein Alphatier, das den Respekt solch starker Männer und Frauen nicht schätzte, durfte