: Alexander Goldstein
: Denk an Famagusta
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783957572967
: 1
: CHF 20.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 500
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Im Mittelpunkt dieses unerschöpflichen und unbeschreiblichen Romans steht die Stadt Baku. Beginnend in den 70 er Jahren und durchwirkt von autobiografischen Elementen, knüpft Goldstein um diese faszinierende Stadt am Kaspischen Meer ein uferloses Netz an Geschichten, das sich bis hin zu seinen Erfahrungen als Immigrant in Israel zu Beginn dieses Jahrtausends spannt. Er erzählt das jüdische Schicksal in der Levante und in Europa sowie die Verflechtung von Juden, Muslimen und Christen, die mal friedlich Seite an Seite leben, mal sich in Raub- und Mordorgien rauschhaft bekämpfen. Abenteurer, Dichter, Mönche, Mörder, Stierkämpfer, Gladiatoren, Frauen, Freundinnen und Flittchen bilden ein grandioses arabeskes Mosaik, das den Leser schon nach wenigen Seiten in seinen Bann des höchst eigenwilligen, sprachmächtigen und hypnotischen Tons aus Pathos, Sarkasmus, Hymne und nüchternem Bericht zieht. Denk an Famagusta ist das literarische Großwerk eines der bedeutendsten Autoren der postsowjetischen Moderne, ein Werk, das scheinbar aus dem Nichts auftaucht, und in das die Gedächtnisfülle Europas und der Levante in bisher unbekannter Weise eingewoben sind.

Alexander Goldstein, 1957 in Tallinn geboren, wuchs in Baku auf. In den 1990er Jahren emigrierte der Literaturwissenschaftler nach Israel, wo er als Journalist für verschiedene russisch-sprachige Zeitungen arbeitete. Für seine Romane wurde er von der Kritik hochgelobt. 2006 starb er in Tel Aviv.

2


Er ging hinaus in den gelben Garten. Die geschwollenen Glieder, die schwere Schlaffheit, alles wie geronnen in der winterlichen Karwoche – es war vorbei, verschwunden, jemand hatte eine Zange genommen und den Stöpsel gezogen. Die Gräser waren erwacht und wehten ihm entgegen. Lächelnd hob er den mit Spucke benetzten Finger, die Windrichtung festzustellen. Literarische Geste französisch anrührender Romane, oh: silbriges Gleiten von Pirogen auf dem Fluss, feuchtes Moos, die Begegnung mit dem Tier im Morgengrauen; blaue Rauchfäden über Wigwams – rückwärts rieselnd der Sand im doppelt bauchigen Kolben, was macht, dass die Zeit rückwärts rinnt, der Specht, Metronom der Wälder, ins Stocken geraten, konnte gerade noch sein »weg vom Weg« hämmern – ein Pfeil, der den Stamm durch die Rinde hindurch trifft, wütend, aufgebracht, weil es danebenging, brauner Staub setzt sich auf die Nadeln. Könnte er mit Worten fragen, auf welcher Seite sich der Wind zusammenbraut, hätte der geantwortet – im Osten und Süden, im Nordwesten, ist nicht entschieden. Das Maultier schmatzt apathisch vor dem Wagen, der Fuhrmann flucht vor sich hin, dicke Spritzer von Hufen und Rädern, wie sauber und frisch der Dreck von Hufen und Rädern fliegt. Eine trächtige Hündin schnupperte an den Stiefeln, rieb sich daran, man solle ihr das Fell hinterm Ohr kratzen, schon strotzten die Zitzen für den saugenden Nachwuchs. Oben hatte man die Klappe für die Lerche geöffnet, wer schreibt mit Tinte, mit klösterlicher Feder auf, ob das Vögelein zu dieser Stunde zu trällern begann; in fahler Höhe, unter der Kuppel des Himmelsauges, tränen Habichtsfilamente. Der Apfelbaum ist arglos reich geworden – an Säure, die den Mund zusammenzieht, danke, genug Geruch und Feuchte und Mühe der Wurzeln, er riss ein festes grünes Kügelchen ab, nicht größer als eine Walnuss, warf es hoch, kickte nach, lachte. Das Herz strahlte, befreit vom Schreiben, der Predigt nach Büchern. Das Lied war nicht in der Kehle zu halten, die Hymne für das Opfer spannte sich bis zum Habicht, bis zur Lerche. Die religiösen Klänge des Grabar, des Altarmenischen, lehrten die Vögel die alte Sprache des Blutvergießens – der schwächste von ihnen musste durch Krallen und Schnabel eines anderen zugrunde gehen, jedoch mit der Bedeutung, die das menschliche Wort ihnen auftrug, nicht wie in der Natur; das kunstlose Aschcharabar, die Umgangssprache, gab ihrer Jagd und ihrer Angst Kontur. Er war der frühere, der rührige, zwanzigjährige, frevlerischeEdschmiadsiner Mönch, der den Ararat bestiegen hatte, – er hatte Lachgas gekostet, Versuchung probiert. Die armenisch-gregorianische Kirche untersagte den Aufstieg auf Berge, das Erklimmen von Gipfeln. Der Ararat führte im Schwarzbuch die Liste der Berge an. Einmal hatte er den Gehorsam verweigert, hatte sich den Weg gebahnt in den Äther, und die Kirche, die ihn liebte, verstieß ihn – um ihn enger zu binden: nur wer das Verbot übertrat, besitzt die Kraft des Tabus. Das verordnete Leiden – die Unbändigkeit des Lichts zu bemänteln, zu kürettieren das weiße unbetretne Land, die Kälteschauer der mit nichts zu vergleichenden Schneeprophezeiungen, vor denen die Orakelsprüche von Delphi klein wurden, – war umso feiner gesponnen, als es die Maske von Ehre und Nutzen trug, die der freiwilligen Sklaverei den Stachel nahm. Freiwill