: Bora Cosic
: Konsul in Belgrad
: Folio Verlag
: 9783990370605
: 1
: CHF 8.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 240
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Bora ?osi?s schelmisch-nachdenkliches Buch umfasst die Zeit zwischen 1937, als er mit seinen Eltern nach Belgrad zieht, und Anfang der 1990er-Jahre, als der Protagonist die Stadt, angewidert vom Nationalismus seiner Landsleute, wieder verlässt. Ganz im Einklang mit seiner selbst gewählten Rolle als Konsul blickt der Autor mit der Distanz eines Fremden abgeklärt und sprachlich virtuos auf Kindheit, Jugend, Erwachsenenleben zurück. Er erzählt von der deutschen Besatzung, dem Sozialismus unter Tito, vom Leben als Bohemien inmitten eines faszinierenden intellektuellen Biotops, mit Akteuren wie Ivo Andric, Georges Perec, Danilo Ki?, Bogdan Bogdanovi? und anderen, bis herauf in die Neunzigerjahre, als der 'Konsul' 'demissioniert'.

Bora ?osi?, geboren 1932 in Zagreb, lebt seit 1992 in Rovinj / Istrien und Berlin. Wichtigster Autor der Belgrader Avantgarde. Zahlreiche Preise, u. a. Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2002 und Albatros-Preis 2008 gem. mit Katharina Wolf-Grießhaber. Auf Deutsch u. a.: Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution (1994), Die Zollerklärung (2001), Eine kurze Kindheit in Agram (2011), Die Tutoren (2015). Bei Folio: Irenas Zimmer (Gedichte, 2005), Die Vogelklasse (2008), Im Ministerium für Mamas Angelegenheiten (2010).

Schließlich verbrachte ich im ersten Winter meines Konsulats ein paar Stunden auf der anderen Seite des Flusses, in einer Siedlung bei Freunden der Familie, umgeben von einem Winterwald, tiefem Schnee, einem Zauber, wie ihn diese dichte, eisige Jahreszeit nur außerhalb der Stadt ausübt. Ich erinnere mich, dass sie uns einen vierspännigen Schlitten bereitmachten, als wären wir in Russland, sie wickelten ihren kleinen Gast und dessen Mutter in dicke Decken, unter die Füße legten sie erhitzte Ziegel, ebenfalls in weiche Handtücher gewickelt, dann begann eine mehrstündige Fahrt durch eine Legende, ich denke, so etwas hat sich in meinem Leben nie mehr wiederholt. Denn allein an diesem Wintertag des Jahres 1938 befand ich mich in einer wirklich natürlichen Umwelt, in einer wahrhaften Winterphase des menschlichen Schicksals, wie in einem klassischen Roman. Wenn ich heute darüber berichte, kommt es mir so vor, als wäre alles ein artifizieller Dekor gewesen, arrangiert für meinen Aufenthalt, eine Bühne, die unversehens verschwand, eine Kulisse, die später abgebaut wur