: Erika Glassen, Hasan Özdemir
: Im Reich der Schlangenkönigin Märchen, Schwänke, Helden- und Liebesgeschichten. Mit einem Nachwort von Erika Glassen. Mit einem Nachwort von Erika Glassen. Türkische Bibliothek
: Unionsverlag
: 9783293303041
: 1
: CHF 16.90
:
: Märchen, Sagen, Legenden
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Es war einmal, es war keinmal ... beginnt so manches Märchen, das uns in die Welt der Feen, Riesen und Dämonen führt, ins Reich der Schlangenkönigin Sahmeran, dorthin, wo Zauberkräfte walten. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie sind durchlässig. Diese verwunschene Welt der orientalischen Märchen ist uns aus Tausendundeine Nacht vertraut. Das unerschöpfliche arabische Erzählwerk zeigt, dass Araber, Perser, Türken und Inder in vormoderner Zeit eine reiche, gemeinsame Märchen- und Mythentradition pflegten. Die türkischen Volkssänger und Märchenerzähler haben im kulturellen Schmelztiegel Anatolien Mythen verschiedener Herkunft übernommen und mit ihrer eigenen Tradition verbunden.

Erika Glassen, geboren 1934 in Malchow/Mecklenburg, habilitierte sich im Bereich Islamwissenschaften an der Universität Freiburg im Breisgau. Von 1989 bis1994 war sie Direktorin des Orient-Instituts. Während dieser Zeit baute sie eine Zweigstelle in Istanbul auf und lernte die türkische Literatur näher kennen und lieben. Erika Glassen ist zusammen mit Prof. Dr. Jens Peter Laut Herausgeberin der Türkischen Bibliothek.

Die Schlangenkönigin Șahmeran


Es lebte früher in der Stadt Adana ein berühmter Arzt und Gelehrter namens Danyal. Eines Tages erkrankte er und bereitete sich eine Arznei, doch wollte diese nichts helfen. Als er spürte, wie seine Krankheit immer schlimmer wurde, rief er schließlich seine Frau zu sich, zog unter der Bettdecke ein Buch hervor, hielt es ihr hin und sprach: »Meine treue Gefährtin, mir geht es über alle Maßen schlecht. Nimm dieses Buch, und wenn das Kind in deinem Bauch gesund zur Welt kommt, dann lass es etwas Anständiges lernen, und wenn es mit der Schule fertig ist, dann gib ihm dieses Buch zu lesen. Alles, was ich weiß, wird das Kind aus diesem Buch lernen, und ihr werdet beide bis an euer Lebensende keine Not kennen.«

Tags darauf verstarb Danyal. Seine Frau beweinte und betrauerte ihn. Kurz danach brachte sie einen Jungen zur Welt und nannte ihn Camsap. Unter vielen Entbehrungen zog sie ihn groß. Als der Junge sieben Jahre alt war, gab sie ihn in eine Schule, die besuchte er ein, zwei Jahre, doch erwies er sich als so unbegabt, dass sein Lehrer ihn nicht weiter unterrichten wollte. So musste die Frau ihren Sohn von der Schule nehmen. Sie gab ihn daraufhin bei einem Handwerker in die Lehre, doch Camsap stellte sich so ungeschickt an, dass sein Meister sprach: »Ich kann dich nicht gebrauchen!«, und ihn vor die Tür setzte.

Da sagte die Frau zu ihrem Sohn: »Mein Sohn, ich wollte dich studieren lassen, doch dein Lehrer hat sich über dich beschwert, da habe ich dich in eine Lehre gegeben, doch dein Meister hat dich davongejagt, weil du so ungeschickt bist. Du weißt, wie es um uns steht, was soll nun also geschehen? Ich habe lange nachgedacht und Folgendes beschlossen: Ich kaufe dir einen Esel, damit wirst du jeden Tag in die Berge reiten, dort Holz fällen, es in die Stadt bringen und verkaufen. Von diesem Geld werden wir leben.«

Am folgenden Tag kauften sie einen Esel. Camsap ging von nun an jeden Tag mit jungen Holzarbeitern in den Wald, fällte Holz, verkaufte es in der Stadt und brachte das Geld seiner Mutter. Eines Tages waren sie wieder im Wald, als das Wetter plötzlich umschlug und ein heftiges Gewitter losbrach. Camsap schulterte seine Axt und flüchtete sich mit den anderen in eine Höhle. Aus Langeweile begann Camsap in der Höhle mit dem Stiel seiner Axt auf dem Boden herumzukratzen, und als er vier Finger tief gelangt war, kam ein Marmorstein zum Vorschein. Als er den Marmorstein ganz von der Erde befreit hatte, stellte sich heraus, dass es ein Deckel war. Camsap und seine Kameraden hoben mit vereinten Kräften den Deckel hoch, und da sahen sie einen Brunnenschacht, der bis oben hin mit golden glänzendem reinem Honig gefüllt war.

Einer von ihnen ging sofort in die Stadt hinunter, besorgte dort Schläuche und kehrte zurück. Sie füllten die Schläuche mit Honig und verkauften diesen in der Stadt. Damit verdienten sie viel mehr Geld als mit dem Holz. So gi