1. KAPITEL
König Malik Roman Nuri, der Sultan von Baraka, stand auf der alten Hafenmauer und beobachtete, wie die königliche Jacht mit der Flagge der Ducasse-Familie in den Hafen segelte. An Bord befand sich seine Prinzessin.
Er hörte, wie die Kapelle einen Willkommensgruß intonierte, und dachte an die junge Frau, die ihr Land verlassen hatte, um zu ihm zu kommen. Die Prinzessin und er lebten in zwei verschiedenen Welten – sie im Westen, er im Orient. Er stellte sich vor, wie ihr zumute sein musste. Wusste sie, wie sehr ihr Leben sich verändern würde? Bei dem Gedanken überkam ihn einen Moment lang so etwas wie Mitleid.
Währenddessen stand Nic auf dem polierten Deck derRoyal Star. Sie strich sich über das neuerdings brünette Haar, während die Fahnen an den Masten im heißen Nachmittagswind flatterten und sie selbst vor Anspannung buchstäblich knisterte.
Sie sagte sich, dass alles wie geplant verlaufen würde. Sie war Prinzessin Chantal Thibaudet, die nach Baraka kam, um den Sultan kennenzulernen. Sie würde so tun, als wolle sie ihn heiraten, und, sobald ihre Schwester und Lilly sicher in Amerika gelandet waren, die Hochzeit wieder absagen. Das Ganze war ein Kinderspiel.
Am Horizont erschien jetzt die gewaltige Befestigungsmauer von Atiq, der Hauptstadt Barakas, die das Land und seine Bewohner jahrhundertelang vor Fluten und den Überfällen der Nachbarländer geschützt hatte. In Gedanken sah Nic die Angreifer vor sich. Sie konnte sich ihre Gier gut vorstellen – jeder trachtete nach Gewinn, die einen nach Frauen, die anderen nach Land, wieder andere nach Macht.
Dann fiel ihr der Grund ihres Kommens ein, und sie unterdrückte einen Anflug von Gereiztheit. Es war wichtig, ihr Temperament zu zügeln und sich gelassen und sanftmütig zu geben. König Nuri durfte nicht daran zweifeln, dass sie Chantal war.
Mit einem tiefen Atemzug zog sie den Schleier auf ihrem Kopf über Mund und Nase, als die hohen Palmen und blendend weißen Mauern näher kamen. Das also war der Schauplatz für die nächsten zwei Wochen ihres Lebens. Musik wehte vom Hafen zu ihr herüber. Sie registrierte die riesige Menschenmenge, die auf sie wartete.
Unter dem langen arabischen Gewand, das sie bereitwillig übergestreift hatte, begann ihr Herz vor Aufregung zu klopfen. Während die Jacht langsam in den Hafen einlief, dachte sie erneut an diese unmögliche Hochzeit. Wie hatte Chantal einem Mann wie dem Sultan ihr Jawort geben können?
Er war nichts weiter als ein gut aussehender Playboy, das hatte Nic im Internet ausfindig gemacht. Selbst auf den unscharfen Fotos sah man, dass er ein ausgesprochen markantes Gesicht und dickes dunkles Haar hatte. Beides passte gut zu seiner angeblich sagenhaften Libido. In den Klatschspalten sprach man von seinen zahlreichen Mätressen und nannte ihn den arabischen Casanova. Nic knirschte mit den Zähnen. Nach allem, was sie erlitten hatte, verdiente ihre Schwester einen besseren Mann.
Die fremdartige Musik begann ihr auf die Nerven zu gehen. Nur zwei oder drei Wochen, nicht länger, sagte sie sich. Sie würde dem Sultan vorschlagen, in den Vereinigten Staaten zu heiraten, in Baton Rouge, der Heimatstadt ihrer Mutter. Nichts Aufwändiges, nur eine kleine Feier im engsten Kreis. Und wenn sie erst einmal in Louisiana waren, würde sie die Hochzeit absagen. Ein Kinderspiel, wie gesagt.
„Wir sind am Ziel, Hoheit. Das Anlegemanöver ist fast beendet.“