1. Kapitel
Gladys wischte sich über den Mund. Der metallische Geschmack von Blut verdrängte den Geschmack von Salz und Fisch, den das Zeug hatte, das Männer verspritzten. Der Matrose hatte gelacht und Gladys eine gescheuert, als sie ihren Penny gewollt hatte. Sein Schlag hatte ihr die Beine weggehauen. Noch ein Tritt in die Rippen, dann hatte der Nebel die beiden verschluckt.
»Fischschwänze!« Vorsichtig fuhr sich Gladys mit der Zunge über die scharfen Kanten des abgebrochenen Zahnes. Aber wenigstens hatte sie den anderen Penny noch.
Sofort abkassieren war die Regel. Für etwas Brot und Zwiebel würde es reichen und vielleicht sogar für einen Teller Suppe, um die Kälte aus den Gliedern zu vertreiben.
»Gladys?« Plötzlich hockte Tom neben ihr. »Was ist passiert?«
»Nichts.« Vergeblich versuchte Gladys auf die Beine zu kommen. Sie zitterte vor Wut und Enttäuschung über ihre Dummheit. »Hilf mir!« Sie streckte die Hand aus. Ihre Rippen schmerzten so sehr, dass sie kaum genug Luft zum Sprechen hatte. »Was hast du ihr gesagt?«
»Ich?«
»Nein, der Typ hinter dir.«
Tom drehte sich hastig um. Er war so blöd wie rothaarig.
»Idiot!« Gladys war eigentlich nicht wütend auf ihn, aber er war gerade da und die Wut auch. »Also, was hast du Mum gesagt?«
»Du hast geschrien.« Endlich nahm Tom ihre ausgestreckte Hand und zog sie hoch.
»Und da schickt sie dich?« Gladys spuckte Blut und Zahnsplitter aus. Ihr klingelten die Ohren von dem Schlag.
Warum hatte das Arschloch sich nach dem Abspritzen nicht einfach umgedreht und war gegangen? Sie hätte doch sowieso nichts machen können. Wahrscheinlich hatte er nach dem Schlag gleich wieder dicke Eier gehabt und prellte nun das nächste Mädchen um seinen Lohn.
Gladys spürte den Penny in ihrer Hand. Mum würde ihn ihr abnehmen, so wahr sie Gladys Brothers hieß. Sei ein liebes Kind, würde sie sagen und ihre Unterlippe würde zittern und aus ihren Augen würden Tränen rollen. Gladys würde ihr den Penny geben, das war so sicher, wie auf den Morgen der Hunger folgte. Aber wozu hatte man einen kleinen Bruder?
»Kennst du die alte Betty in der Nelson Street?«
»Die wo Pasteten verkauft?«
»Genau. Hier haste den Penny und nun lauf!«
»Aber wenn die Männer zurückkommen?«
»Dann bin ich ohne dich besser dran.«
Gladys haute Tom eine runter, aber nur leicht, damit er sich in Bewegung setzte. Schließlich war er ja noch ein Kind, kaum trocken hinter den Ohren. Sie wusste nicht, wie alt er war. Wie auch? Er war geboren, als sie noch zu klein gewesen war, um auf den Kalender zu achten, und Mum meistens zu betrunken. Ihr eigenes Alter wusste Gladys, weil ihre Mum sich an den Tag ihrer Geburt erinnerte. Sie waren eine richtige kleine Familie gewesen: Mum, Dad und Gladys. Dad war Dac