1. KAPITEL
Guy legte auf und steckte das Handy in die Tasche.Wir müssen abwarten. Er konnte diesen Satz mittlerweile nicht mehr hören. Wie konnte er abwarten, wenn die Sache drohte, sein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen?
Aber dies war schon der zweite Spezialist, der ihm diesen Rat gab. Die dritte ärztliche Meinung in drei Monaten. Auch wenn die Aussage „Wir müssen abwarten, ob Ihr Geruchssinn sich erholt“ für normale Menschen wenig dramatisch klang – für einen Parfumeur war sie völlig unakzeptabel. Ohne Geruchssinn war er beruflich am Ende.
Seit drei Monaten hielt er die Diagnose nun schon geheim, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand dahinterkam. Und dann würden die Dinge kompliziert. Wie es aussah, wollte sein Geschäftspartner das Angebot eines großen Konzerns akzeptieren, der ihr Parfumunternehmen aufkaufen wollte. Guy hatte sich diesem Plan widersetzen können – bislang zumindest. Er zog es vor, sich auch weiterhin auf die individuellen Wünsche seiner Kunden konzentrieren zu können und Zulieferer aus der Region zu bevorzugen. Doch der Verlust seines Geruchssinns war genau die Art von Argument, die Philippe brauchte, um den Verkauf durchzusetzen. Denn wie sollte es mit der Firma GL Parfums weitergehen, wenn der Leiter der Duftentwicklung seine „feine Nase“ verloren hatte?
Es war zum Verrücktwerden!
Guy hatte all seine Hoffnung in diesen letzten Spezialisten gesetzt. Die Hoffnung, dass er ihm helfen konnte und mehr anzubieten hatte als nur den Rat, abzuwarten, bis der Geruchssinn von allein zurückkehrte, denn die einzig mögliche Erklärung sei nun einmal eine Virusinfektion. Er hatte stillgehalten und die unangenehme Prozedur über sich ergehen lassen, bei der ein Schlauch mit einer Kamera durch die Nase bis hinauf in die Nebenhöhlen geschoben wurde. Er hatte es mit Vitaminpräparaten versucht, hatte Stunden im Internet damit verbracht, jedes Selbsthilfeforum nach einer Lösung zu durchforsten. Und dennoch bekam er immer nur zu hören: „Wir müssen abwarten.“
Schlimmer noch – der Arzt hatte ihm gesagt, dass es bis zu drei Jahre dauern könnte, bis sein Geruchssinn zurückkehrte. Und selbst dann würde er möglicherweise nur teilweise wieder funktionieren.
DreiJahre?
Die letzten dreiMonate waren schon schlimm genug gewesen.
Die Aussicht, drei Jahre in diesem Zustand verbringen zu müssen, war unerträglich.
Abgesehen davon, dass er nicht so lange warten konnte. Seine Firma konnte es sich nicht erlauben stillzustehen. Wenn sie keine neuen Parfums entwickelten und ihre Produktlinien erweiterten, hätten sie keine Chance gegen die Konkurrenz. Dann müssten sie schließen, und alle würden ihre Arbeit verlieren. Die Angestellten hatten ihn unterstützt und glaubten an ihn und seine Träume. So sehr, dass sie in der Anfangszeit sogar Lohnkürzungen akzeptiert hatten, damit es mit dem Unternehmen weiterging. Er durfte sie nicht enttäuschen.
Natürlich könnte er einen anderen Parfumeur einstellen, der seine Rolle alsnez, als „Nase“, übernahm, aber dann würden sich seine eigenen Aufgaben im Betrieb ändern. Er würde mehr Verwaltungs- und Marketingarbeit übernehmen müssen – Dinge, die er bislang stets mit Vorliebe anderen Mitarbeitern überlassen hatte, da er selbst am liebsten im Labor arbeitete und neue Düfte kreierte. Mit einem anderen Parfumeur wäre die Firma gerettet – aber sie wäre nicht mehr sein Traum. Sie wäre nur noch ein Job für ihn. Ohne die Arbeit im Labor, die er so liebte, wäre sein Leben nur noch halb so erfüllt.
Gott sei Dank hatte er die Formel für das neue Parfum noch fertigstellen können, bevor sein Geruchssinn ihn verlassen hatte. Das verschaffte ihm ein paar Monate Aufschub. Danach blieb ihm nur noch, zu beten und zu hoffen, dass was auch immer mit seiner Nase nicht stimmte, wieder i