O mein geliebter Vater
Meine Mutter starb tragisch während der Influenza-Epidemie im Jahr 1918 und hinterließ mich, das siebte Kind eines siebten Kindes. Vater hatte verzweifelt versucht, sie zu retten. Er behandelte sie mit Hydrotherapie, wickelte sie in eine feuchte Decke und legte sich zu ihr; eine vergebliche Bemühung, das Fieber zu senken. Doch der Krieg und die vielen Kinder forderten ihren Tribut. Als Mutter starb, wurde das Herz meines Vaters mit ihr begraben. Meine ältere Schwester erkrankte etwas später auch an der Grippe, doch meinem Vater gelang es glücklicherweise, sie zu retten.
Vater stand nun da mit der Verantwortung für mich, ein praktisch Neugeborenes, einen zwei Jahre älteren Sohn und fünf weitere Kinder, die vom Alter her immer nur zwei bis drei Jahre auseinander lagen. In dieser Situation gab es für ihn nur zwei Möglichkeiten: eine Haushälterin einstellen oder heiraten. Er wählte letztere.
Meine Stiefmutter war polnischer Herkunft, sie war klein und füllig. Sie hatte ausdrucksstarke blaugraue Augen, die im Nu von Sanftheit zu absoluter Kälte wechseln konnten. Wie bei einer Katze, die eine leidende Maus betrachtet. Dieser Blick brannte sich in mein tiefstes Inneres und verfolgte mich jahrelang in meinen Träumen.
Dass sie ihren Mann liebte, steht außer Zweifel. Sie sehnte sich danach, sein Kind zu tragen, aber sie war unfruchtbar. Ich war nur ein paar Monate alt, völlig von ihr abhängig, und in ihrer Vorstellung wurde ich zum Ergebnis einer Phantom-Schwangerschaft und dadurch zu dem Kind, das sie nicht empfangen konnte. Offenbar sah ich trotz meines zarten Alters meinem Vater ähnlicher als meiner Mutter, was ihre Illusion unterstützte.
Ich erinnere mich nicht an irgendeine Form von Disharmonie oder Trauma während der ersten zwei oder drei Jahre, denn meine Stiefmutter sah mich als ihr leibliches Kind und als einziges der sieben Kinder nannte ich sie »Mami«. Meine Geschwister sagten respektvoll »Tante«. Jedoch konnten sie sie nicht akzeptieren und ärgerten sich über ihre Anwesenheit, trat sie doch nur wenige Monate nach dem Verlust der Mutter, die ihre Kinder tief geliebt hatte, in ihr Leben.
So kam es alsbald zu Spannungen. Mein Vater wurde aus Loyalität (um sein Leben nicht zu zerrütten) über diese Situation in völliger Unkenntnis gehalten.
Meine Stiefmutter war eine exzellente Köchin und eine gute Haushälterin, für die die Bedürfnisse meines Vaters oberste Priorität besaßen. Unter ihrer eisernen Herrschaft funktionierte der Haushalt wie ein Uhrwerk, denn ihre Aufmerksamkeit war auf Heim und Besitz gerichtet. Doch es war kein Heim für Kinder. Bücher, Spielsachen oder Kameraden durften niemals in das makellose Haus eindringen. In diesem Punkt war sie fanatisch und wir Geschwister merkten bald, dass uns nichts mit ihr verband. Ein Kind nach dem anderen ging seinen eigenen Weg und ließ mich ohne Gesellschaft in der lieblosen Atmosphäre dieses ehemaligen »Palastes« zurück.
Meine Geschwister trafen meinen Vater regelmäßig und manchmal kamen sie für kurze Zeit nach Hause zurück. Während eines dieser Aufenthalte passierte etwas, das den Rest meiner Kindheit »entfärben« sollte. Trauriger- und ironischerweise löste die Schwester, die mich am meisten liebte und die zurückgekehrt war, um bei mir zu sein, die unselige Folge von Ereignissen aus. Im Schwatz mit ihr, schnatternd, wie ein Kind es gewohnt ist, muss ich meine Sätze mit »Mami sagte« und »Mami machte« gespickt haben, da ich sie zu jener Zeit noch für meine richtige Mutter hielt. Man stelle sich mein kindliches Interesse vor, als ich folgende Information von meiner Schwester erhielt: »Sie ist nicht deine Mutter und du musst nicht alles tu